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Südosteuropa droht ein harter Winter

■ Sowjetische Ölförderung rückläufig/ Südosteuropa muß auch auf irakisches Öl verzichten

Was das Ölgeschäft anbelangt, müßte die Sowjetunion eigentlich zu den Kriegsgewinnlern der Golfkrise gehören. Die windfall-profits, die sich aus der Hausse der Erdölpreise für die Sowjetunion ergeben, werden von USA-Experten auf 10 Milliarden Dollar für 1991 angesetzt.

Aber der Schein trügt. Die sowjetische Statistik wies bereits für 1988/89 einen Rückgang der Erdölförderung aus, der sich im ersten Quartal 90 fortsetzte. Gründe dafür sind vielfältig: Bereits erschlossene Felder sind erschöpft, Kapitalmangel verhinderte die Ausbeutung erkundeter neuer Felder (in geographisch immer ungünstigerer Lage) wie die Exploration neuer Lagerstätten in der Arktis und im „Off-shore- Gebiet“ Sibiriens. Und schließlich sind die Transportkapazitäten begrenzt. Nach sowjetischen Presseberichten beträgt allein der Verlust durch Lecks im Pipelinesystem bereits jetzt 10 Prozent der Fördermenge. Auf westliche, insbesondere japanische Investitionen, durch die der Fall der Rohölproduktion gebremst werden könnte, kann die SU im nächsten Jahr nicht rechnen.

Für den sowjetischen Erdölexperten Wladimir Isajew steht fest, daß die Sowjetunion durch die Golfkrise mehr verliert als gewinnt. Er verweist vor allem darauf, daß der Irak, der der Sowjetunion 6 Milliarden Dollar schuldet, seine Zahlungen eingestellt hat. Vereinbart war die Lieferung irakischen Öls an Bulgarien und Indien, womit die sowjetischen Schulden an diese beiden Länder beglichen werden sollten. Jetzt müßte die Sowjetunion zu Preiskonditionen, die für sie ungünstiger sind, als Lieferant einspringen.

Kann man über die Folgen der Ölpreisentwicklung für die Sowjetunion noch unterschiedlicher Meinung sein, so stehen die großen Verlierer eindeutig fest. Es sind dies neben den armen Ländern der Dritten Welt die Staaten des ehemaligen sowjetischen Hegemonialbereichs in Ost- und Südosteuropa. In der Vergangenheit waren diese Staaten, die ihr Rohöl fast ausschließlich aus der Sowjetunion bezogen, vor plötzlichen Erschütterungen des Marktes durch eine Klausel geschützt gewesen, die den jeweilgen Preis im Fünfjahresschnitt auf der Grundlage der Weltmarktpreise festlegte. Hatte sich in den 80er Jahren diese Klausel zugunsten der Sowjetunion ausgewirkt, so wären jetzt die ehemaligen Satelliten die Nutznießer gewesen — wenn die Sowjetunion nicht beschlossen hätte, mit dem 1.1.91 auf Bezahlung in Dollar und zu aktuellen Weltmarktpreisen zu bestehen.

Diese ungünstige Ausgangslage ist dadurch weiter verschärft worden, daß die Sowjetunion ihre schon reduzierten Liefermengen Mitte dieses Jahres und jetzt weiter drastisch gekürzt hat. Im Durchschnitt erhalten die ost- und südosteuropäischen Länder nur zwei Drittel der vereinbarten Menge, so daß z.B. in der CSFR das technische Minimum für die Aufrechterhaltung des Raffineriebetriebs bereits unterschritten ist.

Alle Länder der Region sind in Milliardenhöhe Gläubiger des Irak, z.B. schuldet Saddam den Bulgaren und Rumänen jeweils etwa 1,5 Milliarden Dollar. Vor allem diese beiden Länder stehen nach dem Ausfall der in Öl zurückgezahlten Schulden vor einer ausweglosen Situation. Ihre Handelsbilanz ist negativ, sie können wegen der desaströsen Versorgungslage im Innern kaum noch ihre Hauptexportgüter, nämlich Lebensmittel, ausführen, um so Devisen zu verdienen. Springt hier die Sowjetunion nicht mit einem ihre ursprüglichen Verpflichtungen sogar übersteigenden Quantum ein, so wird in Bulgarien und Rumänien diesen Winter nicht nur gehungert, sondern auch bitterlich gefroren.

Aber auch industriell entwickeltere Staaten wie die CSFR sind durch die Lieferbeschränkungen und Preissteigerungen schwer betroffen. Müssen diese Staaten jetzt zusätzlich auf dem Weltmarkt teueres Öl einkaufen, so könnte die Folge ein inflationärer Prozeß sein, der die Sanierungspolitik der Regierungen untergräbt. Die Preissteigerungen würden auf eine Rezession treffen, deren Opfer zunehmend alle Wirtschaften der Region werden. Welche politischen Folgen eine solche „Stagflation“ für die demokratische Entwicklung dieser Staaten haben könnte, ist leider absehbar. Christian Semler

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