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Der Kampf auf feindlichem Territorium

Seit der Maueröffnung eskalieren in Berlin Konflikte zwischen Jugendgruppen / Rassismus ruft ausländische Jugendgangs auf den Plan  ■ Aus Berlin Andrea Böhm

Wählen dürfen sie nicht, aber sie sind in Berlin das Wahlkampfthema Nummer eins: ausländische Jugendliche in Gangs mit den klangvollen Namen „36 Boys“, „Black Panthers“ oder „Getto Sisters“. Dabei ist das Phänomen Jugendbanden gerade in Berlin nicht neu. Doch spätestens seit der Maueröffnung haben die Auseinandersetzungen ein anderes, brutaleres Gesicht bekommen. Vor allem der Alexanderplatz ist zentraler Schauplatz von Schlägereien zwischen Westberliner Gangs, bestehend vor allem aus ausländischen Jugendlichen, und rechtsextremen Jugendgruppen aus Ostberlin geworden. Rassismus und Ausländerfeindlichkeit wird mit einer haßerfüllten Jagd auf Skinheads und alle, die so aussehen, begegnet.

Am schnellsten hat wie so oft die Polizei reagiert. Während man auf seiten des rot-grünen Senats mühsam und konfus an neuen Streetworker-Projekten herumbastelte, reagierte die Kripo mit der Einrichtung von fünf Ermittlungsgruppen, die von einer „AG Gruppengewalt“ koordiniert werden. Fundament der polizeilichen Arbeit ist eine wachsende Sammlung personenbezogener Daten, die mittlerweile rund 1.300 Jugendliche umfaßt. Nur mit spärlichen Informationen kann oder will man bei der „AG Gruppengewalt“ über die Situation im Ostteil der Stadt aufwarten. Von neuen Gangs in der ehemaligen Haupstadt der DDR weiß man nichts, wohl aber von einer zunehmenden Brutalisierung unter Jugendlichen, die nicht organisiert sind. Das „Abziehen“ von Jacken oder Walkmen- Geräten — längst ein massives Problem an Westberliner Schulen — wird nun auch aus Ost-Berlin vermeldet.

Zumindest eine Ostberliner Neugründung ist den Ermittlern im Westteil entgangen. Aus den Reihen Ostberlner Fußballfans haben sich die „Snickers“ rekrutiert und bereits vor der offiziellen Vereinigung engere Kooperation mit den „South Side Riders“ aus dem Westteil der Stadt gesucht. Die Ausrichtung beider Gangs ist klar rechtslastig und ausländerfeindlich: Vietnamesen, Roma, Mozambiquaner oder auch die türkischen Westberliner sind Zielscheiben von Haß und Frust.

Kaum an die Öffentlichkeit dringen Konflikte aus den Stadtrandgebieten. Bereits im März, als die Mauer ausreichend große Löcher aufwies, schlüpften türkische Jugendliche aus dem Märkischen Viertel, einer Westberliner Trabantenstadt, in das angrenzende Wilhelmsruh und lieferten sich Schlägereien mit rechtsextremen DDR-Jugendlichen. Letztere waren zum Teil in der „Wilhelmsruher Trinkerjugend“ zusammengeschlossen, die sich daraufhin in „Wilhelmsruher Türkenjäger“ umbenannte. Fakt ist eine zunehmende Zahl rassistischer Überfälle von Ostberliner Skinhead- und Neonazi-Gruppen auf Wohnheime ausländischer ArbeiterInnen, auf Wohnwagenlager von Sinti und Roma oder auf AusländerInnen auf der Straße oder in den U-Bahnen.

Gepaart mit Machismo und einer gewissen Abenteuerlust, in Ostberlin feindliches Territorium zu erobern, hat die Zunahme rechtsextremer Gewalt besonders die türkischen, jugoslawischen oder arabischen Jugendlichen in den Westberliner Gangs zusammengeschweißt. Denn nirgendwo anders als in Berlin bekommen nicht-deutsche Jugendliche das wiedererstarkte deutsche Nationalgefühl so deutlich zu spüren. Für viele ImmigrantInnen der zweiten und dritten Generation ist inzwischen jeder schwarz-rot-goldene Autoaufkleber Indiz für die zunehmende Ausgrenzung. Das gilt nicht nur für diejenigen, die sich mit Baseballschlägern, Messern und Karatetraining auf die nächste Auseinandersetzung mit den Skins vorbereiten. „Es herrscht Katastrophenstimmung“, sagt Kenan, ein 23jähriger türkischer Student, der seit seinem siebten Lebensjahr in Westberlin lebt. Zusammen mit KommilitonInnen gibt er eine deutsch-türkische Zeitung heraus. Im Gegensatz zu den Jugendlichen in den Gangs, sagt Kenan, „haben wir die Zeitung, um uns zu äußern. Aber der Frust ist bei uns der gleiche.“

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