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Verpackung der Bitternis

■ »Jiuta-Mai«: klassischer japanischer Tanz in der Volksbühne

Gewohnt, Ruhe und Bewegung als gegensätzliche Zustände des Körpers zu erfahren und zu benennen, fällt es schwer, Wahrnehmung und beschreibende Sprache für den klassischen japanischen Tanz Jiuta-Mai zu entwickeln, den die beiden Meisterinnen Kanzaki Seijo und Kanzaki Hidejo anläßlich der Berliner Festtage vor einem schmalen und einsamen Streifen Publikum in der Volksbühne und noch einmal im Hebbel-Theater zelebrierten.

Schon die Geschichte dieses Tanzes entzieht sich dem üblichen Verständnis von Entwicklung und Veränderung einer Kunstform. Ähnlich wie das Kabuki und das No-Theater entstand der Jiuta-Mai in einer feudalen Gesellschaft als Ausdrucksform des Hofadels und hat sich ungeachtet des gesellschaftlichen Wandels als Kunstform erhalten. Während im Kabuki alle Rollen von Männern gespielt werden, führen Frauen die intimere und solistische Form des Jiuta-Mai-Tanzes aus. Strenge, Diziplin, Konzentration, Versenkung und Selbstaufgabe, der uns so asiatisch anmutende Tugend-Kanon, der für die Leistungsfähigkeit der modernen japanischen Industriegesellschaft eine neue Bedeutung gewonnen hat, gehören zu seiner Aura. Die Tänzerinnen werden von Gesang begleitet: diese Lieder erzählen, in wenigen Zeilen verdichtet, die traurigen Liebesgeschichten einsamer Heldinnen, die für ihre Selbstbestimmung mit gesellschaftlicher Isolation zahlen müssen.

So wie die Handlung kryptisch bleibt, verziehen sich auch die Emotionen tief in die Tänzerin hinein. Mir erscheint Jiuta-Mai als ein ständiger Prozeß der Reduktion und Abstraktion, der Streichung jeglichen Beiwerks bis auf wenige Chiffren. Nicht mit nach außen dringender Expressivität, sondern indem sich die Tänzerinnen mehr und mehr abschließen, erzählen sie ihre Geschichte. Kalligraphisch kostbar und doch von Fremden nicht zu lesen wie ihre Schriftzeichen zeigt sich ihre Gestik. Als könnte die Ästhetisierung des Leidens dieses selbst verkleinern und zur Unbedeutendheit zerschmelzen, rückt die Vervollkommnung der Form in den Vordergrund.

Steif wie Goldpapier-Flügel stehen die großen Schleifen der Kimono-Gürtel vom Rücken der beiden Kanzakis ab. Die Last der architekturalen Kunstwerke der Haartracht läßt höchstens eine leichte, sogleich sehr tragische, Neigung der Nackenlinie zu. Aus den riesigen Ärmel-Tüten winken die weißen geschlossenen Hände wie viel zu kleine Wesen, als daß sie sich jemals aus diesen Hüllen befreien könnten. Die Füße wagen kaum, sich unter dem Saum vorzuschieben. Gerade und aufrecht (was wir so nennen) kann die Tänzerin gar nicht stehen; das Gewand hält sie immer leicht in den Knien, den Rücken ein wenig schräg, in gebogener Linie, die von den aufspringenden Falten zur grafischen Figur vervollkommnet wird. Diese demütige Biegung erinnert aber auch an die Elastizität einer gebogenen Stahlfeder, die sich Belastungen gegenüber als stabil erweist. Die Tänzerinnen schieben sich eine kleine Wendung vor, vertiefen den Körper, sinken in die Masse des sie umgebenden Stoffes ein, verändern die Richtung, lassen die Hände einen großen, das Kinn einen kleinen Bogen beschreiben, trippeln ein wenig und ordnen von neuem die Linien eines in den Raum geschriebenen Zeichens. Einzig mit dem Fächer, den sie fast wie eine Waffe mit sich führen, deuten sie eine größere Entschiedenheit an, vom Raum Besitz zu ergreifen, weisen entschlossen Richtungen an und lassen ihn wie ein Rad kreisen. Katrin Bettina Müller

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