: Ein Bekenntnis für Bonn!
■ Diskussionsserie des »Potsdam Kollegs« »Welche Hauptstadt braucht Berlin«. Teil 2
Die Indizien, daß Berlin Regierungshauptstadt des großen Deutschlands spielen könnte, werden immer spärlicher: Jüngster Beweis ist der Aufruf: »Wir für Bonn!« des Bonner Oberstadtdirektors an seine Bediensteten, die mit seinen »Gedanken zur Hauptstadtfrage« gegen Berlin als zukünftigen Regierungssitz eingeschworen werden sollen. Auch sein Vertreter, ein gewisser Herr Rauen, fordert in einem Schreiben an die »Lieben Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen«, jede Gelegenheit zu nutzen, »mit Verwandten, Freunden und Bekannten« das Hauptstadtthema zu diskutieren, um »für Bonn zu argumentieren«. Wollen die städtischen Angestellten nicht ihren Job loswerden, wie es jüngst dem Chefredakteur des Bonner Lokalblattes erging, weil er sich nicht kämpferisch genug für das Provinzstädtchen zeigte und zudem schändlich mit einem Berliner Kennzeichen am Auto vor der Redaktion herumkurvte, müssen sie nun ein »Bekenntnis mit Hilfe eines Aufklebers« ablegen, der ihnen »zugeleitet wird«. Schließlich hört man von Ehefrauen freidemokratischer Abgeordneter immer wieder Klagen über die Last eines möglichen Umzugs aus einer preiswerten Villa am Rhein in eine Zweiraum-Plattenbau-Wohnung in Marzahn oder wird mit dem Gebrüll gegen die »Hauptstadt Kreuzberg« aus Bayern, Baden- Württemberg, Hessen, dem Saarland, der Pfalz, Bremen, Hamburg, NW, SH und Niedersachsen konfrontiert, die alle wollen, daß Bonn Bonn bleibt.
Angesichts der Bonner Attacken war es eher langweilig, daß die drei Architekturkritiker — Nikolaus Kuhnert/Berlin, Bruno Flierl/ Berlin und Jean-Louis Cohen/Paris — am zweiten Abend der Diskussionsreihe des Potsdam Kollegs: »Welche Hauptstadt braucht Berlin?« in ihrem »Gespräch« nicht mompermäßig zurückbellten, sondern recht vorsichtig — aber oftmals zu allgemeinplätzlich — versuchten, sich die Doppelstadt als zukünftige Metropole im »Schnittpunkt eines kulturellen West-Ost-Konflikts« (Kuhnert) und weniger als Regierungsstadt vorzustellen. Beinahe egal schien ihnen, was die Bonner so aufregt, steht doch Berlin eher vor neuen »städtebaulichen Orientierungen« (Cohen) insgesamt. Welche formenden Kräfte dabei wirksam werden könnten, kam dabei ebenso zur Sprache wie Vergleiche zur französischen Kapitale und ihren Beziehungen zur Peripherie.
Auf eine klassische Mitte, einen baulichen Schwerpunkt, kann die Gesamtmetropole — auch als Hauptstadt —, so der Tenor, verzichten. Ein zentrales Machtzentrum, referierte Bruno Flierl, hätte sich in der Geschichte Berlins einmal mehr als baulich und politisch unzulänglich erwiesen, waren doch beispielsweise die megalomanen Planungen Speers für eine sieben Kilometer lange Nord-Süd-Achse als Aufmarschgebiet für nationalsozialistische Inszenierungen ebenso gewollte wie brutale Eingriffe in ein existierendes Raster wie die moderne Zentrumsplanung für die Ostberliner Mitte in den sechziger Jahren. Berlin sei in seiner »Funktion, Struktur und Gestalt« keine architektonisch »zentralistisch« ausgebildete Stadt gewesen, sondern komme einem flächigen Mikrokosmos gleich, dessen dezentrale Ordnung, so Flierls Perspektive, für Europas Zukunftsstruktur insgesamt wirksam werden könnte. Zugleich sei Berlin, findet Flierl, »keine Stadt mit Hochhaustraditionen«. Einzelne Turmbauten, selbst der Fernsehturm erfüllen nur symbolische Funktionen in einer sich überwiegend »horizontal erstreckenden Stadt«. An diesen »Leitbildern« müsse sich jede städtebauliche Entwicklung, besonders bei einer Verdichtung nach innen, orientieren, nicht aber an »postmodernen Inszenierungen«, die zu Hochhausalpträumen werden könnten, warnte Flierl mit Blick auf den Potsdamer Platz.
Auf die »multipolaren Strukturen« des Berliner Stadtgrundrisses sieht Jean-Louis Cohen zwangsläufig Probleme zukommen, die weniger mit Regierungbauten und der dafür notwendigen Infrastruktur als mit den Standorten für Industrie- und Dienstleistungsunternehmen zusammenhängen, die in die Stadt drängen und ganze Stadtteile okkupieren werden, findet nicht eine »Umstrukturierung des Planungsszenariums« statt, das die politischen Entscheidungen der Diskussion und Kontrolle durch die Öffentlichkeit unterwirft. Die Ansiedelungen werden es nötig machen, über stadträumliche wie regionale Planungen nachzudenken, sind doch »Komplexität und Dichte«, so Cohen, zwei urbane Faktoren, an denen Metropolen noch nie vorbeigekommen sind. Doch im Unterschied zu »gestalterischen« abstrakten Figuren — man denke an den Fingerplan der Senatorin für Stadtentwicklung, Michaele Schreyer — schlägt Cohen mit Blick auf Le Corbusier ein Nachdenken über »strategische Zonen« vor, die sich an der Funktionalität orientierten. »Hochhausgettos« à la Défence könnten hochgezogen werden, Yuppiestädte am Stadtrand, um die Innenstadt vor der Hochhauswut der Investoren »zu bewahren«. Berlin könne dann, folgert Cohen, zum Beispiel der »bewohnbaren Metropole«, durch seine Erfahrungen zum »Laboratorium« für Großstädte in Europa werden.
Mit dem Schmelztiegel New York, nicht jedoch mit Paris, wollte Nikolaus Kuhnert die Rolle des zukünftigen Berlins vergleichen und verwies die Hauptstadtfrage auf den historischen Müll aus »Nostalgie« und Sehnsucht nach der »Rückeroberung«. Für Kuhnert könne statt dessen »Berlin zum Zentrum einer multikulturellen Auseinandersetzung werden«, zu einer Metropole, in der die »Armut des Ostens« und der »Reichtum des Westens« als kultureller Konflikt ausgetragen und ausgehalten werden sollen. Auch die stadträumlichen Planungen, forderte Kuhnert, müssen auf die Ebene einer »neuen Qualität« gehoben werden, die die provinzielle Enge der »Berliner Mittelmäßigkeit« endlich vergessen läßt,kommen doch mit der Vereinigung und ihrer östlichen Brückenkopffunktion jetzt andere Auftraggeber mit komlexeren Anforderungen auf die Stadt zu, als das bisher der Fall gewesen ist. Die Architekten müßten, so Kuhnert — leider in Verkennung der Dialektik — die neue Planungskultur jetzt auf die eigentlichen Machtzentren — die Investoren und deren Planungsvorhaben — ausrichten, kämen mit ihnen doch »gänzlich andere Bedingungen« auf Stadtplanung, Architektur und Infrastruktur zu, was wiederum ein »anderes Planen« nötig machen werde. Die Strategie müsse sein, so Kuhnert, im Unterschied zu den »Erfahrungen des letzten Jahrzehnts«, wo einer schwächlichen Stadtpolitik noch Nischen abgetrotzt werden konnten, sich mit den Anforderungen des Kapitals auseinanderzusetzen, was weitaus härter, aber ebenso erfolgreich werden könne. Hier könnten trotz der »Doppelbödigkeit« des Verhandlungspartners neue »Modelle« für die Stadtplanung ausprobiert werden, wie sie in New York bereits existierten, schloß Kuhnert.
Nach diesem unpatriotischen wie informativen Berlin-Abend können wir getrost nach Bonn rufen: Fürchtet Euch nicht, ist doch Berlin ein Ort, an den nichts weniger gehört als ihr. Selbst wenn die Stadt in zwanzig Jahren nicht mehr zu erkennen ist, wie Flierl fürchtet, weil wir Ostmenschen von Euch finanziell im Stich gelassen, von der Bauwut der Banker überrollt und vom Kleinmut korrumpierter Politiker geprellt wurden, so wisset, daß das allemal besser ist als Eure spießige Angst vor dem Leben. Für Bonn!! rola
Die weiteren Termine sind: 26.10.; 16.11.; 23.11. jeweils um 20 Uhr in der Galerie Aedes. Am 14.12. findet die Schlußrunde im Esplanade statt, auch um 20 Uhr.
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