: Rückfall in die Siebziger
■ Mit Autobahnen will die SPD im Osten Stimmen fangen KOMMENTAR
Die Vereinigung ist vorüber — jetzt könnte endlich wieder Politik gemacht werden. Politik für eine Stadt, in der sich das Zusammenwachsen wie unter einem Brennglas vollzieht und die mit Problemen wahrhaft gesegnet ist. Es könnte Politik gemacht werden, wenn nicht jetzt ein Wahlkampf anlaufen würde, in dem alles offen ist. Die SPD, die am Samstag ihr Programm geradezu akribisch diskutiert hat, kann sich nach dem Vereinigungsgetöse wieder auf ihre ureigenen Politikfelder konzentrieren, Soziales, Mieten, Stärkung der Schwachen, das ganze garniert mit den obligatorischen Attributen von ökologisch, sozial verträglich und zukunftsweisend. Mit ihrem Beschluß, doch wieder Autobahnen und Schnellstraßen zu bauen, wurde genau das Gegenteil erreicht: Ein Rückfall in die Betonideologie der siebziger Jahre.
Die Vereinigung macht's möglich: Mit den Stimmen der autoversessenen Ost-GenossInnen, denen »Freie Fahrt für freie Bürger« der Inbegriff westlichen Demokratieverständnisses zu sein scheint, konnten die traditionellen Autobahnfetischisten aus Neukölln und Reinickendorf endlich durchstimmen. Die eigenen Beschlüsse, auf einen Ausbau zu verzichten, gehören der fortschrittlichen Vergangenheit vor der Vereinigung an. Bausenator Nagel, stadtbekannter Autobahnliebhaber und heimlicher Wahlkampfleiter, strahlte nicht umsonst: Wenn es auch nicht offen ausgesprochen wurde, so ist doch die vorherrschende SPD-Meinung, daß die Wahl nur im Osten zu gewinnen sei. Mit neuen Autobahnen ist leicht Stimmenfang zu betreiben. Anstatt Konzepte für eine Stadt vor dem Verkehrskollaps zu entwickeln, wird die Diskussion auf den Stand von vor zwanzig Jahren zurückgedreht. Daß die Lebensbedingungen im Osten schnell verbessert werden müssen, ist fast eine Platitüde. Aber müssen wir mit allen gesellschaftspolitischen Debatten von vorne anfangen? Kordula Doerfler
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen