piwik no script img

„Es ist fast egal, wer gewählt wird“

■ Die Dresdner strömten ins Grüne/ Ein Drittel wählten bis mittag in der äußeren Neustadt

Dresden (taz) — Wer für den Osten Deutschlands einen heißen Herbst vorausgesagt hatte, kann sich nicht unbedingt auf politschen Weitblick berufen. Aber als Wetterprophet hat er glänzend bestanden. Die DresdnerInnen strömen ins Grüne und SonnenanbeterInnen haben sich auf den Elbwiesen ausgestreckt. Dieses Sonnengeschenk gibt auch der dritten freien Wahl etwas Festtägliches. Gerade ein Drittel der Stimmberechtigten hatte sich bis Mittag im Wahllokal der äußeren Neustadt eingefunden. Michael Weiß, Leiter des Wahlvorstandes, gaubt nicht, daß es am Ende mehr als 50 Prozent sein werden. Dem Ehepaar Zschorn, das aus dem Wahllokal kommt, ist es „fast egal, wer heute gewählt wird“. Es müsse, durch wen auch immer, viel investiert und angestrengt gearbeitet werden. „Für uns war wichtig, eine Partei zu finden, die von ihrem Demokratiebewußtsein her ein parlamentarisches Gegengewicht schafft zur Politik der großen Industrie. Es wird hier zu haarsträubenden sozialen Gegensätzen kommen, und die löst man nicht dadurch, daß man sagt: ,Ärmel hochkrempeln und losarbeiten‘“. Familie Kleber erhofft sich einen Aufschwung im Wohnungsbau. Über die Interessen von Familien mit behinderten Kindern haben sie in den Wahlkampfreden nichts gehört. Ihr Junge ist sehbehindert, lebt in einem Internat. Dafür zahlt Frau Kleber fast ihr gesamtes Einkommen, ihr Mann ist arbeitslos.

In das Wahllokal gleich beim Dresdener Hauptbahnhof kommen zur Mittagsstunde die Rentnerinnen aus dem nahen Altersheim. Ihre Erwartungen bringen sie auf den Nenner: „... daß wir aus dem Dreck herauskommen und nicht wieder betrogen werden!“ Die Wahlbeteiligung liegt hier mittags schon bei 50 Prozent. Sie habe links gewählt, bekennt eine junge Lehrerin. Von der Landesregierung erwarte sie, „daß die Demokratie praktiziert wird, von der die Politiker immer reden. Meine Erfahrung ist leider, daß man sich schon wieder mit einer abweichenden Meinung in Gefahr bringt. Lehrer haben Angst um ihre Arbeitsplätze. Damit ginge die alte Misere unter neuem Vorzeichen weiter.“ Wenn am Abend die Wahlvorstände über den Stimmzetteln schwitzen, steigt in Dresden die „Erste sächsische Musikfete“, und am Altmarkt spielen in einem riesen Aquarium echte Haie mit echten TaucherInnen, während die Parteien ihre Volksfeste feiern. Wie schon der Wahlkampf war auch der Urnengang am Sonntag für die meisten BürgerInnen eher eine Episode am Rande. Detlef Krell

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen