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Irrfahrt in der Deutschlandhalle

■ Laterna Magika aus Prag mit »Odysseus«

Troja ist ein Stadtteil von Prag. Ein tristes Industriegebiet, das einen daran erinnert, daß Prag nicht nur historisch und schön ist.

Nachdem Odysseus Troja besiegt hat, macht er sich mit seinen Begleitern auf die Heimreise.

Die Prager Theatergruppe Laterna Magika hat ihre Heimstätte nicht in Troja, sondern mitten im historischen Zentrum Prags, aber »Industrie« (lat.: Fleiß) und Technik spielen bei ihr eine wesentliche Rolle.

Die Bezeichnung Theater ist eher eine Untertreibung, denn die Laterna Magika ist zugleich auch Kino, Ballett, Zirkus, Lightshow, Pantomime, Musical...

Odysseus stürzt sich ins Ungewisse. Das besteht aus Projektionen der Naturgewalten auf riesige Leinwände, sonst ist die Bühne leer, abgesehen von der schwebenden Plattform, die als Schiff Odysseus und seine Crew durch alle Fährnisse trägt.

Die Rüstungen seiner Begleiter und Begleiterinnen, Hosen mit Lederschutz und knappe Lederkoller, werden zeitweise ergänzt durch hellenistische Phantasiehelme und silberne Schilde, die, würde man die Berliner Polizei damit ausstatten, jede Demo zur Performance werden ließen.

Der Mann Odysseus, wenngleich von Aids noch ganz unbeleckt, kämpft auch gegen die Sinnlichkeit in Gestalt zahlreicher mehr oder meist weniger bekleideter Frauen. Nachdem er sich der Lotosgöttinnen entledigt hat, gewinnt kurzfristig die trojanische Tristesse die Oberhand, die Filmprojektion fällt aus und der Lanzenstoß ins Zyklopenauge geht in die leere Leinwand.

Die Pause zur Behebung des Schadens tut indes dem Zauber des Stückes keinen Abbruch. Die goldschimmernde Circe schwebt herab, verwandelt Odysseus' Mannen in eine Schweineherde und kämpft mit ihm eine Liebesschlacht. Aber auch die Zauberin wird besiegt und weiter geht die Irrfahrt durch die tobenden Elemente.

Leider bildet die Ausstattung der Deutschlandhalle eine regelrechte Antiklimax zu der traumhaften Bühneninszenierung: rundum Schultheiss-Cola-Auto-Werbung wie im Fußballstadion.

Odysseus taucht ab in die Unterwelt, die Leinwand wird zum Erdrutsch, die verführerischen Sirenen übergeht die gehörlose Rezensentin und ergötzt sich stattdessen an dem ballonähnlichen Gebilde, das mal zur Felsenklippe, mal zur Kuschelwolke, schließlich gar zum überdimensionalen Golfball-Feindbild wird [Saddam, ick hör dir trapsen! d.L.].

Die Versprechungen der Riesin Kalypso, Projektionen, die an russische Zeichentrickfilme mit einem Hauch Disneyland erinnern, können weder die Protagonisten noch das Publikum lange fesseln. Odysseus zieht weiter.

Nach einem Sturm werden die Schiffbrüchigen auf Helios' Insel angeschwemmt — wieder einer der wunderbaren Momente, wo Filmprojektion und Choreographie eine perfekte Synthese bilden. Daß der Sonnengott die Leinwand in Flammen aufgehen läßt, ist keine weitere technische Panne, sondern ein Zeichen des nahenden Finales.

Die schöne Nausikaa ist das letzte weibliche Hindernis, das Odysseus zu mahlerisch-entrückten Klängen überwinden muß. Das Heer der vergeblich um die Liebe Penelopes werbenden Freier zu besiegen ist dann nur noch eine Formalität. Odysseus ist am Ziel.

Nach ihrem ersten Auftritt bei der EXPO '58 setzte die Laterna Magika ihren Weg als experimentelles Multimediatheater mit bisher zwanzig Inszenierungen fort. Die Stammbühne nahe dem Prager Wenzelsplatz ist ständig ausverkauft. Vor knapp einem Jahr waren die unterirdisch gelegenen Räume des Theaters das Hauptquartier der samtenen Revolution. In der Laterna Magika wurde Geschichte gemacht.

Sehen wir sie als das Trojanische Pferd der Tschechoslowakei, ausgesandt, die Welt zu erobern. Ich bin ihr schon verfallen. Gabriele Warnke

Noch bis Sonntag, 21. Oktober, jeweils um 20 Uhr in der Deutschlandhalle; Karten ab 24 Mark.

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