: Echte Zombies beißen nicht
■ »White Zombies« mit Bela Lugosi im fsk
Zombiefilme sind dann richtig gut, wenn sich im Verlauf des Films herausstellt, daß echte Menschen noch viel böser sein können als die lebenden Toten. Diesen Grundsatz beherzigte Victor Halperin, als er 1932 White Zombies drehte und — wem sonst — Bela Lugosi mit dem grausam zugewachsenen und gegen den Strich gebürsteten Augenbrauen die Hauptrolle gab...
Ein junges Paar, Madeleine und Neil, lassen sich nach Haiti einladen, in ein verwunschen-gothisches Schloß. Ihr Gastgeber Dr. Brooner aber, gemein und durchtrieben, will nur die Braut in spe, und zwar für sich allein. Weil die großäugige und des Kontrastes wegen blonde Madeleine jedoch hoffnungslos in Neil verliebt und diesem auch treu ist, bleibt dem Doktor keine andere Möglichkeit, sie willfährig zu machen, als das, was niemand auszusprechen wagt: die Zombifikation. Dazu bedarf er der Hilfe von Voodoomeister Bela Lugosi, der bereitwillig das Gift zur Verfügung stellt. Der Doktor ermordet die Braut. Stilvoll mit einer totbringenden Rose, die sie sich geschmeichelt in den üppigen Brautstrauß steckt. Minuten nach der Hochzeit mit Neil stirbt Madeleine, wird prunkvoll bestattet, wiedererweckt und sitzt bald darauf teilnahmslos am Klavier. Währenddessen irrt ihr Liebster, nach dem tragischen »Tod« Madeleines dem Alkohol verfallen, orientierungslos in wundersam gemalten Haiti-Kulissen umher. Aber auch der Doktor ist als Gatte von Zombie-Madeleine nicht am Ziel seiner Träume angelangt. Irgendwie findet er am neuem Zustand der Schönen keine rechte Freude, auch wenn ihr Äußeres durch die Prozedur keinen Schaden genommen hat. Allein, es ist zu spät. Das erfährt der Zuschauer im schönsten Dialog des ganzen Films. Der Doktor (reuevoll): »I can't bear these empty eyes! I have to bring her back!« Lugosi, diensteifrig zur Stelle: »Back to the grave, Monsier?« Obwohl alles aussichtslos und die Voodoomacht unbezwingbar erscheint, siegt am Ende doch das Gute, die Liebe, das Weiße. Alle anderen springen die steilen Klippen hinab in die tosende See oder werden geschubst. Aber eben erst, wie es sich gehört, kurz vor dem Abspann.
In diesem Fall darf man das Ende der Geschichte schon vorher erzählen, weil White Zombies alt genug ist und nicht mehr wegen zeitgenössischer Gruselfreuden angeguckt wird. Etwas ganz anderes macht den Film sehenswert: Zum einen steht er in einem freundlich-großväterlichen Verhältnis zu den jüngeren Produktionen dieses Genres. Zum anderes gibt es in White Zombies etwas Quasidokumentarisch-Wissenschaftliches, das in den späteren Zombiefilmen nur noch rudimentär vorhanden ist. Während der moderne Zombie vor allem durch seine Bisse ins warme Fleisch gefährlich wird (bzw. irgendwann mal selbst angesteckt wurde), stellt Halperin seine Zombies völlig ungefährlich dar: wie perfekte Sklaven — willenlos, arbeitsam. Und damit benutzt Halperin in seinem Film die Zombifikation eher ethnographisch als so, wie sie ursprünglich mal war: Bestrafungsritual. Eigentlich sind Zombies nämlich Abtrünnige und Verbrecher, deren (bösartige) Gehirne durch extrem starke Gifte weitgehend zerstört, unschädlich gemacht werden. (Weil dieses Gift sogar durch bloßen Hautkontakt letal wirkt, ist Madeleines Zombifikation durch die Rose also viel realistischer als jeder blutige Trickbiß). Nach einigen Tagen in todesähnlichem Zustand werden die »echten« Zombies dann zum Beispiel auf Haiti durch Gegengifte wiedererweckt — und leben in gewohnter Umgebung zumeist als harmlose Dorftrottel weiter. In Halperins Zombiefilm ist interessant zu beobachten, daß ein Weißer, Lugosi, den Voodoomeister spielt. Mal abgesehen davon, daß dies auch eine Konzession an das weiße Publikum war, lassen sich hier durchaus ein paar überraschend antikolonialistische Spitzen entdecken. Lugosi ist im Film nämlich zugleich Besitzer einer Sägemühle, in der Zuckerrohr gemahlen wird. Die Szenen dort erinnern stark an Metropolis: Arbeiter schwitzen und schuften in einer ländlich-expressionistischen Maschinenhölle, mit gebrochenem Willen, wie dressierte Ochsen. Selbst als ein Kollege ausrutscht und in die scharf mahlenden Messer der Mühle fällt, vollziehen sie die Exekution, indem sie weiterdrehen, ohne eine Miene zu verziehen. Das Zombiegift in der Hand des Weißen wird in diesem Film als Medium kolonialistischer Machtpolitik dargestellt. Lugosi mißbraucht es, um »Eingeborene« in billige, unterwürfige Arbeiter für seine Fabrik zu verwandeln und um aus ehemaligen Politikern eine tumbe Leibgarde zu rekrutieren [bei uns werden aus tumber Leibgarde Politiker. sezza]. So führt auch der zombifizierte Innenminister widerspruchslos alle Befehle aus, die Voodoomeister Lugosi ihm und den anderen weißgeschminkten Ex-Regierungsbeamten mit symbolträchtigen Gesten auferlegt... Vielleicht ist also gar nicht die liebende Madeleine der »white zombie«, sondern der natürlich lebende Kolonialist? Dorothee Wenner
White Zombies (OF) im fsk, Wiener Straße, Berlin 36 noch bis Mittwoch, 24.10., täglich um 0 Uhr 30
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