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„Deutsche Wirtschaft ist tief gespalten“

■ Konjunkturschwäche in Westdeutschland durch Ost-Nachfrage überdeckt

Bonn (ap/dpa/adn) — In ihrem traditionellen Herbstgutachten zur Lage der Weltwirtschaft und der deutschen Wirtschaft haben die fünf führenden wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute der BRD für die fünf neuen Bundesländer im kommenden Jahr bis zu 1,7 Millionen Arbeitslose und zwei Millionen Kurzarbeiter prognostiziert. Auch im früheren Bundesgebiet wird dieser Prognose zufolge die Zahl der Erwerbslosen trotz zunehmender Beschäftigung wieder wachsen, und zwar auf durchschnittlich zwei Millionen. Damit werden in Gesamtdeutschland im kommenden Jahr 3,4 Millionen ArbeitnehmerInnen ohne Beschäftigung sein, weitere 1,8 Millionen werden kurzarbeiten.

Pessimistisch äußerten sich die Wirtschaftsforscher auch über die Konjunkturerwartungen in beiden Teilen Deutschlands. In Ostdeutschland werde sich die „Talfahrt der Wirtschaft bis weit in das Jahr 1991“ hinein fortsetzen. Auch in Westdeutschland erlahmten die konjunkturellen Antriebskräfte deutlich, was allerdings durch den Nachfrageschub aus dem Osten überdeckt werde. In Gesamtdeutschland werde die Wirtschaft nur um 1,5 Prozent wachsen. Für die alten Bundesländer wird in diesem Jahr ein Wachstum von vier Prozent erwartet.

Die Konjunkturforschungsinstitute sehen kurzfristig keine Möglichkeiten für zusätzliche Maßnahmen, um die prognostizierte Arbeitslosigkeit kurzfristig zu verringern. Dahinter stehe der anhaltende Einbruch der Produktion in Ostdeutschland, der vielleicht Mitte nächsten Jahres zum Stillstand komme und dann in einen späteren Aufschwung einmünde, erläuterte Heiner Flassbeck vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW/Berlin).

Prof. Klaus-Werner Schatz vom Kieler Institut für Weltwirtschaft ergänzte, der Umstrukturierungsprozeß hin zu einer marktwirtschaftlichen Produktion dürfe nicht aufgehalten werden. Es gebe derzeit oft keine Nachfrage nach Ost-Produkten. „Da muß zusammenbrechen, was zusammenbrechen muß“, sagte Schatz.

Entgegen mancher Kritik an ihren Vorhersagen bekräftigen die Institute ihre gesamtdeutsche Prognose. Während die konjunkturellen Auftriebskräfte in Westdeutschland deutlich erlahmten, wirke sich insbesondere die Nachfrage aus Ostdeutschland günstig für die Produktion im Westen aus. „Die wirtschaftliche Lage im vereinigten Deutschland ist tief gespalten“, stellen die Gutachter fest.

Der Sprecher der Wirtschaftsforschungsinstitute, Dr. Heiner Flassbeck, wies darauf hin, daß es für die Vorhersagen über die Wirtschaftsentwicklung in der ehemaligen DDR nur eine „sehr unsichere Grundlage“ gebe. Schon in den nächsten Monaten werde laut Gutachten eine „beträchtliche Anzahl“ von Betrieben in Konkurs gehen, die jetzt noch durch Liquiditätskredite der Treuhandanstalt und durch die zeitweilige Aussetzung von Konkursregeln am Leben erhalten würden. Die Institute sehen auch die Chancen der bisherigen DDR als „Drehscheibe für den Osthandel“ in Frage gestellt.

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