: Gefällige Schlappheit in Eleganz?
■ "Flugdächer und Weserziegel" / Prachtbuch zur Architektur der 50er Jahre in Bremen
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Hillmann-Cafe, 1949
“Wie neu waren nun diese Leitlinien eines neuzeitlichen Städtebaus nach einem Zerstörungskrieg, dessen Organisation letztlich auf einer überschaubaren Einheit — Siedlungszelle und Blockwart — aufbaute? Ahnte und begriff das Volk darin den faschistischen Staat? Auch im Städtebau darf eine gewisse Entnazifizierung der Terminologie nicht mit einem Neubeginn verwechselt werden.“ Jörg Kirschenmann, Professor für Urbanistik an der Hochschule für Künste in Bremen, macht einen der raren Versuche, die Architektur der 50er Jahre in Bremen — hier: den Wohnblockbau — auf ihre Traditionslinien hin zu untersuchen. Rar deshalb, weil, falls überhaupt Gegenstand von Untersuchungen oder Wahrnehmung, die 50er-Architektur entweder als aussagelose „gefällige Schlappheit“ dasteht oder als beispiellos „modern“, die Chancen der „erbombten Auflockerung“ nach dem Krieg optimal nutzend.
Ein opulenter und vielseitiger Beitrag zur regionalen Architekturgeschichte ist das soeben erschienene Buch „Flugdächer und Weserziegel — Architektur der 50er Jahre in Bremen“, Ergebnis eines von der Kulturbehörde durchgeführten zweijährigen Projekts über die Architektur der
50er Jahre, an dem neben Hans- Joachim Manske und Franz-Peter Mau (Referat „Kunst im öffentlichen Raum“) die Architektenkammer Bremen und der Deutsche Werkbund Niedersachsen beteiligt sind. Mit reichem Fotomaterial ausgestattet und überaus verdaulichen und informativen Texten versehen, bietet „Flugdächer und Weserziegel“ eine vorläufige Bestandsaufnahme einer in Bremen noch sehr virulenten Phase der Baugeschichte; politisch-historische Versuche wie der eingangs zitierte sind dabei die Ausnahme.
Der Titel verweist auf die Situation in Bremen nach dem Krieg: Ein großer Teil der Stadt war Trümmerwüste; am schlimmsten waren Hafen und westliche Vorstadt betroffen. Von 120.000 Wohnungen waren 15.000 total zerstört, ca. 35.000 stark beschädigt. „Weserziegel“ waren ein bremisches Produkt jener Zeit: In „Trümmerverwertungsanlagen“ wurde der Schutt zerkleinert, mit Beton versetzt und zu Steinen gepreßt. Die Weserziegel waren wegen ihrer scharfen Kanten und Splitter bei den Maurern unbeliebt. Und Flugdächer? Das sind die flachen, überkragenden Hochhausdächer, die man auch über Balkonen und Eingängen findet und die Mitte der 50er als topmodern galten.
Das Hochhaus stellt eine der auffälligsten und umstrittensten Erscheinungen der Ära dar; staunend liest man bei Kirschenmann, wie euphorisch und mit sozialen Utopien aufgeladen die heute allgemein als „Wohnsilos“ bezeichneten Stadtteile zum Teil begrüßt wurden: „fließende Erholungsräume“ mit Straßen von „eleganter Linienführung“ konstruierten „neue städtebauliche Räume“. — „Der ins Große greifende Wagemut der Hanseaten wird sich ... in der Vahr ... ein bleibendes Denkmal setzen“, jubelte „Gewoba“- Chefplaner Max Säume 1958, der die US-Idee von den „Nachbarschaften“, überschaubaren, gemeinschaftsstiftenden Einheiten, in der Vahr realisieren wollte. Was einerseits der Nachkriegs- Wohnungsnot Rechnung trug, kam andererseits sozialdemokratischen Wohnvorstellungen so nahe, so daß Konservative mutmaßten, der Wohnblock solle zwangsweise zur allgemeinen Wohnform werden; am Ende stünden womöglich „geschlossene Parteisiedlungen“.
Neben der Planung ganz neuer Viertel ist es die Behandlung teilweise zerstörter Bausubstanz, die Aufschluß über die Positionen der
50er-Jahre Stadtplanung gibt. Der Leiter des Bremer Landesamts für Denkmalpflege, Hans- Christoph Hoffmann, untersucht in einem Kapitel den „schöpferischen Umgang mit dem Denkmal“ anhand z.B. der Stadtwaage, der gnadenlos nach-“rustifizierten“ Kirche Unser-Lieben-Frauen und des Börsengrundstücks, wo heute die Bürgerschaft ihr Haus hat. Die spannende Geschichte dieses Hauses skizziert Kirschenmann. Einen Beitrag zur Kunst am Bau der 50er steuert Hans-Joachim Manske unter dem Titel „Unschuldige Provinzialität“ bei. Laut Bürgerschaftsbeschluß von 1952 gingen 2% der Bausumme in eine Kunst, die „Versöhnung“ wollte, pädagogisch orientiert war und über die Bremer Landesgrenze nicht rausguckte.
Viel Raum im Buch nehmen ausführlich beschriebene Objekte ein, vom Berufsbildungszentrum über das Aalto-Hochhaus in der Vahr zu Nachkriegsverlusten wie die „Kunst-Krypta“ am Wall oder das Hapag-Lloyd-Reisebüro am Herdentor. Mit diesem Teil zum Blättern und (Wieder-)Entdecken macht „Flugdächer und Weserziegel“ auch fachlich Uninteressierten Lust, mit neuen Augen etwa die Klinken im Hauptgesundheitsamt anzusehen.
Burkhard Straßmann
Worpsweder Verlag, 48 DM
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