STANDBILD
: "Eigenartiger Geruch"

■ "Frauen" von Sibylle Plogstedt, Di., N3, 22.30 Uhr

„Bis zu mir nach Friedenau drängen sich die Trabis durch.“ Am Ziel Friedenau oder Lüchow, einstigen verträumten Refugien etablierter Alternativer, angekommen, entsteigen den Stinkern Menschen mit „eigenartigem Geruch“, die man an „gemusterten Strümpfen und Einkaufsbeuteln“ erkennt. Wenn sie wieder abgefahren sind, „sieht's aus wie in einem Schweinestall“, weil sie Zigarettenkippen und Eispapier einfach unter sich fallen lassen. Die Rede ist von DDR-BürgerInnen.

Sibylle Plogstedt interviewte Frauen zum Thema Nach der Mauer auf der Lauer — Was die schnelle Einheit im Leben von Westfrauen verändert hat. Plogstedt selbst hat Angst, durch die Wiedervereinigung in die 50er Jahre zurückgedrängt zu werden. Wenn viele dasselbe denken, ist es nicht so peinlich. Also sammelte sie ihre alten Freundinnen aus der Frauenbewegung um sich und befragte sie über ihre Vorurteile: Hemmungslos wird übelgenommen, werden Ängste vor dem möglichen Stillstand mühsam erkämpfter Gleichberechtigung geäußert; selbst die „Kriegsgewinnlerinnen“, die jetzt im Osten Karriere machen, nölen rum.

Ich mußte an den berühmt-berüchtigten Ethnologen Bronislaw Malinowski denken. Vielgelobt wurde zeit seines Lebens sein Standardwerk über das Leben der Trobriander. Nach seinem Tode veröffentlichte man sein Tagebuch, in dem sich so herrliche Sätze fanden wie: Das Leben der Eingeborenen sei ihm so fern wie das eines Hundes und dessen heftiger Ekel in dem Spruch gipfelte: Rottet die Wilden aus!

Sibylle Plogstedt will uns nicht warten lassen bis posthum mal rauskommt, daß sie eigentlich Angst vor den Fremden hatte. Wir sind heutzutage ehrlich und stehen zu uns: „(West)deutsche Frau mir graust vor dir“ war das Fazit meines nächtlichen Fernsehabends. Die Vorurteile habe ich schließlich selber. Da will ich nicht noch via Fernsehen um die Ohren gepatscht kriegen wie untolerant ich bin ... Abgesehen davon ist es ziemlich nervig, zig unlockeren Frauen beim Schimpfen zuzugucken. Im Fernsehen will ich Bilder sehen und nicht Monologe hören. Dafür ist das Radio da.

Tröstlich, daß im anschließenden Studiogespräch Katja Lange-Müller, ehemalige DDRlerin und seit 1984 im Westen, wunderbar unverkrampft von hüben und drüben plauderte und uns zumindest verriet, daß die drüben nicht weniger ätzend von uns denken. „Man macht es eben so“, sagt die Deutsche hie wie dort, und „so“ ist das jeweils von ihr als richtig Erkannte. Und Theweleit zitierend — „Das primäre Geschlechtsmerkmal ist deutsch“ — fand sie auch die künftig gemeinsame Basis der Verständigung heraus.

Ich für meinen Teil versuche meine Vorurteile anders abzubauen als sie mir laut vorzubeten: Ich versichere, er roch wunderbar und er hatte keine gemusterten Socken an. Sigrid Bellack