Was wird aus den Sanktionen?

■ Die EG will ihre allmähliche Lockerung von konkreten Reformen abhängig machen

Frederik de Klerks Reise in die Niederlande ist nur sein jüngster diplomatischer Erfolg. In diesem Jahr wurde er schon in fast ganz Europa, in den USA und vor allem auch in afrikanischen Staaten empfangen. Überall verbessern sich die Beziehungen des ehemaligen Apartheid- Aussätzigen mit anderen Ländern. In Afrika baut der Wirtschaftsriese Südafrika seine Handelsbeziehungen aus — mit der Elfenbeinküste, Kenia, Marokko, Zaire, Ruanda, den Comoren, Madagaskar, Mosambik und den anderen unmittelbaren Nachbarländern.

Auch in der Europäischen Gemeinschaft ist die Frage, ob gegen Südafrika verhängte Sanktionen gelockert werden sollen, schon längst positiv beantwortet worden. Zwar wird erst beim EG-Gipfel im Dezember ein formaler Beschluß gefaßt werden. Doch der niederländische Premierminister Ruud Lubbers deutete schon den Ablauf an: „Vor dem Hintergrund des Reformprozesses und parallel zu dem Ausmaß, in dem Fortschritte gemacht werden, werden wir eine Normalisierung der Beziehungen zu Südafrika anstreben.“

Jede Aufhebung bestimmter Sanktionen soll also von konkreten Fortschritten im Verhandlungsprozeß in Südafrika abhängen, um so die Reformen zu unterstützen. Lubbers erwähnte die Möglichkeit, in den Bereichen Kultur und Bildung schon bald wieder Kontakte aufzunehmen. Gleichzeitig oder als nächster Schritt ist die Aufhebung des Verbots von Neuinvestitionen in Südafrika im Gespräch. Eine genaue Formulierung des EG-Planes zu Sanktionen befindet sich in Arbeit.

Die Lockerung von Sanktionen steht eng im Zusammenhang mit der Einschätzung, ob der Reformprozess in Südafrika unumkehrbar ist. Der ANC lehnt eine Lockerung von Sanktionen zum derzeitigen Zeitpunkt ab. „Ich will nicht bestreiten, daß de Klerk sich unumkehrbar zu Veränderung bekannt hat,“ sagte Thabo Mbeki, ANC-Beauftragter für Internationales Ende September. „Aber das bedeutet nicht, daß der Prozeß als solcher unumkehrbar ist.“

Was für de Klerk gilt, gilt auch für ANC-Vizepräsidenten Nelson Mandela — die beiden wichtigsten Akteure im Verhandlungsprozeß haben ihre politische Zukunft an den Erfolg der Verhandlungen geknüpft. Eine Kehrtwendewürde für beide politischen Selbstmord bedeuten. Andererseits könnten ein Attentat auf de Klerk oder Mandela wie auch ein Militärputsch noch immer zum Abbruch der Verhandlungen führen.

Was konkrete Reformen betrifft, so hat de Klerk trotz aller Versprechen und Rhetorik noch vergleichweise wenige Veränderungen durchgeführt. Die Legalisierung des ANC und anderer verbotener Organisationen hat die Politik in Südafrika zweifellos geöffnet. Die Macht, solche Verbote erneut zu verhängen, bleibt aber bestehen. Andererseits ist die Abschaffung konkreter Apartheid- Maßnahmen wie Rassentrennung in Schwimmbädern oder Schulen kaum wieder zurückzunehmen. Dasselbe gilt für die nächstes Jahr erwartete Abschaffung der Rassentrennung in Wohngebieten.

Diese Reformen spiegeln aber nur eine Entwicklung wider, die in Südafrika trotz Bestehen der jeweiligen Gesetze zum größten Teil ohnehin schon stattgefunden hatte. Lediglich in erzkonservativen ländlichen Orten war die schrittweise „Integrierung von unten“ verhindert worden. Diese Kommunen versuchen immer noch, Widerstand zu leisten. Aber die Zentralregierung sitzt am längeren Hebel.

In den Gesetzbüchern ist das „neue Südafrika“ also noch lange nicht festgeschrieben. Schwarze dürfen nach wie vor nicht wählen, die Weißen haben das Machtmonopol — auch wenn de Klerk davon spricht, in der Übergangszeit Schwarzen ein Mitspracherecht bei der Politikformulierung zu geben. Auch an der „großen Apartheid“, der Aufteilung Südafrikas in ein „weißes“ Land und zehn ethnische Homelands für Schwarze ist noch nicht gerüttelt worden.

Dem ANC zufolge wäre die Unumkehrbarkeit erst gegeben, wenn eine neue Verfassung verabschiedet ist. Andererseits ist aber offensichtlich, daß andere Regierungen de Klerk für seine Reformbemühungen nicht nur mit roten Teppichen und Staatsempfängen belohnen wollen. Für sie drängt sich die Lockerung der Sanktionen regelrecht auf.

Die psychologische Bedeutung einer Aufhebung beispielsweise des Sportboykotts für de Klerks Stabilisierung sollte nicht unterschätzt werden. In der weißen südafrikanischen Gesellschaft spielt Sport eine große Rolle. Die Ankunft eines englischen Rugby-Teams in Südafrika könnte seiner Nationalpartei sicher Tausende von Wählerstimmen aus dem ultrarechten Lager zurückgewinnen.

Auch bei den wirtschaftlichen Sanktionen ist die psychologische Komponente wichtiger als die ökonomische. Die Briten haben beispielsweise das Verbot von Neuinvestitionen schon aufgehoben. Das hat aber zu keiner Flut von Kapital nach Südafrika geführt: Die Konzerne wollen das Ende der Verhandlungen abwarten. In jedem Fall ist Südafrikas Wirtschaft so schwer angeschlagen, daß selbst eine Aufhebung der internationalen Sanktionen kaum große Erleichterung schaffen würde. Hans Brandt, Johannesburg