»Vollständige Säuberung«

■ Zwischenbilanz der »Arbeitsgemeinschaft Straßenumbenennungen« in Ost-Berlin

Als Ost-Berlins Innenstadtrat Thomas Krüger (SPD) im September die Bürger aufruft, ihre Vorschläge für die Wende auf den Straßenschildern einzureichen, da meldet sich unverzüglich auch der Berliner CDU-Rechtsaußen Heinrich Lummer besorgt zu Wort. Weil es bis zur »vollständigen Säuberung« sicherlich noch länger dauern werde, macht der Bundestagsabgeordnete West erst mal nur einen Vorschlag. Die nach »Ulbrichts Justizminister« benannte Hans-Loch-Straße in Lichtenberg müsse in Ludwig- Erhard-Straße umbenannt werden. Schließlich sei der ein »Mutmacher« gewesen und werde dies auch weiter sein. Denn, so Lummer, »mit einem zweiten Wirtschaftswunder« sei bald zu rechnen.

Bei der »Arbeitsgemeinschaft Straßenumbenennung« von Magistrat und Bezirken sind bis heute von prominenten und weniger prominenten BürgerInnen, Verbänden und Vereinen rund 1.400 Vorschläge eingegangen. Die jetzt veröffentlichten Vorschläge beziehen sich auf 162 Straßennamen in der ehemaligen Teilstadt Ost. Auch die Namen von Brücken, Plätzen, Denkmälern und S-Bahnhöfen sollen revidiert werden. Noch heute kommen bei der AG täglich rund zehn Briefe an — von Einzelvorschlägen für eine Robert- Havemann-Straße bis zur Bekundung des flächendeckenden Umbenennungswillens mit 120 neuen Namen.

Die Mehrheit der VorschlägerInnen fordert die Wiederherstellung der »alten«, »traditionellen« Namen, etwa die Rückbennenung der nach einem französischen Résistance- Kämpfer getauften Jacques-Duclos- Straße in Möllendorfstraße. Nach der Bedeutung der alten Namen wird dabei nicht gefragt — im günstigsten Fall stammen diese noch aus der Kaiserzeit. Comeback für Dragoner und Grenadiere — statt einer Heinrich- Mann-Straße soll es wieder eine Seckendorffstraße geben. Zur Zeit ist das Alte immer auch das Beste, Hauptsache wieder anknüpfen, und 40 Jahre Geschichte der DDR können verdrängt werden. Vorwärts und vergessen, heißt das Motto. »An Marx, Engels, Dimitroff und Thälmann haben die Bürger ihre Pflicht längst abgetragen, von denen sollten wir uns erholen dürfen«, meint ein empörter Systemurlauber. Und ein Kollege pflichtet bei: »Bemühen Sie sich darum, bestimmte Straßen, die unter dem verhaßten Honecker-Regime auf der Grundlage einer volksfeindlichen Ideologie ihren ursprünglichen historischen Namen verloren haben, wieder umzubenennen!« Alles weg, was links und doch »volksfeindlich« ist. Daß auch Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht, die Pariser Commune und viele WiderstandskämpferInnen dran glauben sollen, zeigt unser Kasten, der die häufigsten Umbenennungswünsche der keineswegs repräsentativen Bürgeraktion des Magistrats dokumentiert.

So manche BriefschreiberIn argumentiert auch mit ursuppig-gesundem Menschenverstand: »In den seltensten Fällen wurde der Name Jacques Duclos richtig geschrieben, ihn auszusprechen ist schwer. Was hatte der Widerstandskämpfer aus Frankreich mit Berlin zu tun?« weiß eine Anwohnerin nicht. Ebenso simpel die Argumentation bei Ho Chi Minh und Indira Gandhi — wer kann so was schon buchstabieren? Damit seien die Bürger »überrumpelt« worden. »Ho Chi Minh in Ehren, aber warum mußten wir dafür herhalten?«

In Zukunft, so viele der BriefschreiberInnen, solle auf die Vergabe »politischer Straßennamen« möglichst verzichtet werden. Damit es irgendwann nicht wieder »Streit« gibt und »derartige Aktionen nicht wieder notwendig werden«. Keine »Peinlichkeiten« mehr. »Suchen Sie Musiker, Dichter und Wissenschaftler, das erspart in einigen hundert Jahren weitere Umbenennungen«, schlägt ein ganz zukunftsbewußter Bürger vor.

Andere, noch vorsichtigere Revisionisten wollen lieber ganze »Blumenviertel« (Prenzlauer Berg), »Tiroler Viertel« (Pankow) und »Musikerviertel« (Weißensee) etablieren — es müsse mit »Fingerspitzengefühl entideologisiert« werden. Auch »Dalli-Dalli«-Hans Rosenthal und Krebshelferin Mildred Scheel liegen hoch im Diskurs. Ebenso wie die Tierwelt und die Blaublütigen — schließlich »hat die Königin Luise im Unterschied zu manchen anderen Repräsentanten des preußischen Adels eine positive Rolle gespielt, soll populär und dazu auch noch hübsch gewesen sein«. Ausgewogen soll's Straßenschild endlich werden, dem »urbanen Wohlbefinden« dienen und dem »Heimatgefühl«. Alles im »Interesse der Identität«, wie Stadtrat Krüger dies in seinen Presseinformationen zur Straßenumbenennung beschreibt.

Natürlich wittern auch westliche Vereine und Verbände im Osten ihre Chance. So möchten etwa die Jungen Liberalen die Liberalität gesichert wissen, der Berliner Schwulenverband will endlich schwule Urväter wie den Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld auf die Schilder heben. Der weltsprachliche Vorschlag der Esperantogruppe Lietzensee: sie fordert die Ehrung des Pazifisten und Esperantoautors Dr. Ludwig Lazarus Zamenhof. Selbst der Bürgermeister der italienischen Stadt Assisi meldet sich zu Wort. Der Platz rund um das Brandenburger Tor solle doch bitte in Friedensplatz umbenannt werden. Das sei so schon mit Kanzler Kohl abgesprochen.

Nur sehr wenige Bürgerbriefe warnen hingegen vor der »Auslöschung« von 40 Jahren DDR-Geschichte und wollen die WiderstandskämpferInnen weiter mit Straßennamen geehrt wissen. Nur vereinzelt wird darauf hingewiesen, daß auch im Westteil der Stadt mit Hunderten von militärischen, adligen und antidemokratischen Straßennamen noch sehr viel im argen liegt.

Um so rächender die Neuvorschläge von rechts: Möchtegernbismarck Helmut Kohl, Ultrazombie Franz-Josef Strauß, Kleiderständerin Sabine Bergmann-Pohl, Axel Presse-Cäsar Springer, Rüstungspfarrer Eppelmann, Einheitsmanager Günter Krause und sogar Innenstadtrat Thomas Krüger selbst sollen ins Straßenbild. Höchst verbohrt schreiben die, die sich mehrmals melden. Etwa ein Restaurantbesitzer Ost, der schon zum vierten Mal fordert, die nach dem ersten sowjetischen Stadtkommandanten Bersarin benannte Straße endlich umzutaufen: Als Kommandeur der 5. Armee sei »dieser Russe« für »Notzucht, Raub und Massenmord« verantwortlich gewesen. Der wüstenfuchsige Alternativvorschlag des Neukapitalisten: Rommelstraße. Auch Fluchtopfer Peter Fechter soll geehrt werden. Am besten im Austausch für die nach einem erschossenen NVA- Grenzsoldaten benannte Reinhold- Huhn-Straße.

Auch wenn mehr Bürger für Robert Havemann als für Springer votieren, wie man bei der Innenverwaltung weiß, bleibt das Procedere des Magistrats fragwürdig. Selbst wenn die »AG Straßenumbenennungen« nur als »Beratungs-, Koordinations- und Vorbereitungsgremium« und Vorschlagsammelstelle dient, kann durch die jetzige Publikation der absolut unrepräsentativen Bürgeranregungen doch nur ein schiefes Bild geliefert werden. Schließlich ließen sich für jedes Votum gegen Marx und Engels leicht Dutzende von zustimmenden Meinungen finden, nur greift der Volkszorn traditionell eben eher zum Kuli. Durchschnittlich sind aber pro Straße gerade mal 15 Briefe eingegangen — Rekordhalter ist Ho Chi Minh mit 35 aktiven Gegnern.

Auch wenn mit der Vorschlagsveröffentlichung jetzt erst mal stimmungsmäßig nach rechts befriedet wird — entschieden wird über die tatsächlichen Umbenennungen in den Bezirken und erst im nächsten Jahr. Denn vor den Gesamtberliner und Bundestagswahlen am 2. Dezember sind Änderungen nicht drin. Sonst nämlich, so der Magistrat, drohe großes Chaos bei der Erstellung von Wählerverzeichnissen und beim organisatorischen Ablauf des fröhlichen Urnenbegehens. kotte