„Ganz Prerow wehrt sich gegen die Eindringlinge“

Asterix am Ostseestrand/ An der BRD-Eastcoast, wo früher Stasi und NVA befahlen, nisten sich jetzt Naturschützer ein — Wer ist das Volk?/ Ökotouristen oder „Golf- und Country-Club?“/ Bundesverkehrsminister Zimmermann baut vor: Naturschutz darf den Straßenbau nicht behindern  ■ Aus Stralsund Klaus Boldt

Wir schreiben das Jahr 1990. Die ganze Ostseeküste ist drauf und dran, von großdeutschen Spekulanten und Neckermanntouristen überlaufen zu werden. Die ganze Ostseeküste? Nein! Eine kleine Schar von Naturschützern wehrt sich mit der Parole „Wir sind das Volk!“ verzweifelt gegen die Eindringlinge...

Die Umweltschützer befürchten, der Massentourismus könnte die letzten deutschen Refugien seltener Tiere und Pflanzen zerstören. Da gilt es, mutig und clever zu sein wie Asterix gegen die Römer. In den schilfgedeckten Häusern des kleinen Ostseebades Prerow rüsten die 1.900 Einwohner derweil ebenfalls Argumente auf. Aus Prerower Sicht sieht die Lage so aus:

Wir schreiben das Jahr 1990. Die ganze Ostseeküste ist von großdeutschen Naturschützern besetzt. Die ganze Ostseeküste? Nein! Das kleine Dorf Prerow auf der Halbinsel Darß protestiert „Wir sind das Volk!“ und wehrt sich verzweifelt gegen die Eindringlinge...“

Die Episode der Berühmtheit des Widerstandsnestes Prerow beginnt in einem Reisebus, gechartert von der deutschen Sektion der internationalen Umweltschutzorganisation World Wide Fund for Nature. Über das Bordmikrofon versorgt WWF- Aktivist Wolfgang Fischer die Schar wackerer Westjournalisten von 'Bild‘ bis 'Spiegel‘ mit brandheißer Information: „Es gibt einen Kampf zwischen Umweltschützern und dem Bürgermeister.“

Prerows ehrenamtliches Dorfoberhaupt Diethart Kröpelin wehre sich mit Händen und Füßen gegen die Einrichtung eines Nationalparkes.

Der Meeresbiologe, DDR- Flüchtling und ehemalige Greenpeacekämpfer Fischer hofft, nach Einrichtung eines Nationalparkes sei es mit dem „großen Geldverdienen vorbei“. Immerhin 40.000 „Naturcamper“ haben das Ostseebad pro Saison heimgesucht.

„Goldgrube“ Tourismus? Kröpelin dementiert. In der Vergangenheit habe der Staat die Profite größtenteils abgeschöpft, für das Dorf sei wenig übriggeblieben. Der Komfort auf den Campingplätzen ist bescheiden, statt sanitärer Einrichtungen gibt es umweltfeindliche „Chemietoiletten“. Prerow setzt auf „sanften Tourismus“: Weniger Besucher, die mehr bezahlen können. Aber dafür braucht man die nötige Infrastruktur.

Soll die Dorfbevölkerung Bastkörbe flechten?

Kröpelin, studierter Biologe und seit 1.Juni im Amt, meint, es könne nicht sein, „daß wir hier Hals über Kopf etwas übergestülpt bekommen“. Die lagunenartigen Gewässer („Bodden“), die im Aussterben begriffene Seeadler und Zwergseeschwalben, Fischotter und Kraniche beherbergen, stünden schließlich bereits unter Naturschutz. Den Bürgermeister drücken andere Sorgen: Es gibt keine geregelte Abwasserentsorgung und keine Kläranlage im Dorf. „Dafür ist kein Geld da.“ Außerdem gebe es in Sachen Umweltschutz andere Prioritäten in der Ex-DDR.

Die Prerower wollen die Zäune der Nationalen Volksarmee, die illegal Quartiere und sogar einen Hafen eingerichtet hat, nach der Wende nicht einfach gegen Ökozäune eingetauscht sehen. Jahrzehntelang konnten sie aufgrund der NVA-Sperrgebiete ihre eigenen Strände nicht betreten. Sie sind mißtrauisch. Schuldirektor Peter Malt erklärt kategorisch, es gehe „nichts gegen den Willen der Prerower Bevölkerung“. Auf die Ökoszene ist er sauer: „Die wollen die Prerower dazu animieren, wieder Bastkörbe zu flechten.“ „Wie Affen im Zoo“ solle das Dorfvolk die Staffage für naturversessene Ökotouristen abgeben, befürchtet er.

Auf Zäune wollen die Naturschützer erst einmal verzichten. Mit der Einrichtung von Nationlparks wolle man vielmehr „deutlich machen, daß unverbaute Landschaft einen Wert — auch einen Kulturwert — darstellt, für dessen Erhaltung die Gesellschaft als Ganzes verantwortlich ist“, begründet Lebrecht Jeschke, bis dato Leiter der Abteilung Reservate im Ostberliner Umweltministerium, den Erlaß der Verordnungen vom 12. September.

Sie erlaubten die Einrichtung der Nationalparks Vorpommersche Boddenlandschaft und Jasmund an der Ostsee, Müritz in Mecklenburg- Vorpommern, Hochharz und Sächsische Schweiz; der Biosphärenreservate Südost-Rügen, Schorfheide- Chorin und Spreewald (Brandenburg), Mittlere Elbe, Rhön und Vessertal (Thüringen) sowie der drei Naturparks Schaalsee (Mecklenburg- Vorpommern), Drömling (Sachsen- Anhalt) und Märkische Schweiz. Insbesondere gelte es, der Spekulation und illegalen Bebauung einen Riegel vorzuschieben, sagt Jeschke.

Fall1: Die „BBP-Bauplanung und Projektentwicklungs-AG“ mit Sitz in Hünenberg/Schweiz und New York City plant einen „Viva-Parc Insel Rügen“ mit „Viva-Resort und Conventionhotel“ (140 First-Class- Zimmer, „Schlemmer- und Erlebnisgastronomie“, „Gourmet-Treffpunkt“, „Konferenz- und Bankettzentrum“ mit Tagungsräumen „ab 50 bis 1.500 Quadratmeter für 15 bis 1.000 Personen“), Yacht-Club, Golf- und Country-Club. Ein „Little Shop of Wonder“ soll „expressive Nettigkeiten aus allen Ländern mit einer reichhaltigen, niegesehenen Palette“ anbieten. Die Gäste, so BBP, können „unter Bäumen lauschige Abende“ verbringen und „schlemmern“.

Fall2: Ein westdeutscher Steuerberater hat in einem Landschaftsschutzgebiet im Südosten Rügens mit dem Tiefbau für ein Einfamilienhaus begonnen. Bürgermeister und Landrat unterstützen das Vorhaben, Naturschützer wollen es per einstweiliger Verfügung stoppen.

Ist das nur die Spitze des Eisbergs? WWF-Kämpfer Fischer sagt, es seien „jede Menge Scharlatane unterwegs“. Er kennt aber nur insgesamt zehn Fälle dieser Art.

„Mit dem Hause Töpfer abgestimmt“

Auf Vilm, im Bungalow Nummer zwei, hat Erich Honecker seine Ferien verbracht. Zehn weitere Häuschen standen Ministern und Regierungsgästen zur Verfügung. Auf dem kleinen Eiland südöstlich von Rügen stehen die Bäume heute noch so, wie Caspar David Friedrich sie vor rund 180 Jahren auf die Leinwand bannte. Das soll auch so bleiben, und deshalb wird Honeckers Feriendomizil künftig fast ausschließlich Naturschützern zum Fachsimpeln dienen. Das Volk darf, kontingentiert auf dreißig Personen pro Tag und nach Voranmeldung, auf den vorgeschriebenen Pfaden um die Insel wandern.

Eigentlich, so stellt sich während der WWF-Busreise heraus, geht es um die Akzeptanz der Öffentlichkeit für bereits Beschlossenes. Dazu braucht man die Medien. Nach der Vereinigung sind die ostdeutschen Bundesländer für die Nationalparks zuständig. Sie sollen die Arbeit der Naturschützer nicht wieder zunichte machen dürfen. „Der große Aufbruch vom Herbst vergangenen Jahres wurde von der Ökobewegung zum erheblichen Teil mit vorbereitet und eingeleitet“, so der ehemalige stellvertretende Umweltminister der DDR, Michael Succow.

Die Lobby der DDR-Naturschützer im Ostberliner Ministerium wurde von einer zwanzigköpfigen Beratergruppe aus dem Bonner Umweltministerium unterstüzt. 130 der 300 Bediensteten des früheren Ostberliner Ministeriums für Naturschutz, Umweltschutz und Wasserwirtschaft werden ins Töpfer-Ministerium übernommen. Das Nationalparkprogramm bringt weitere 157 Personalstellen. Bei der Sicherung von Pfründen waren die DDR-Naturschützer mit die Schnellsten.

Die in aller Eile noch vor der Vereinigung vom DDR-Ministerrat durchgepeitschten neuen Nationalparks bringen auch für das Töpfer- Ministerium einen Kompetenz- und Etatzuwachs. Arnulf Müller-Helmbrecht, Jurist im Bonner Umweltminiterium: „Gehen sie davon aus, daß das mit dem Hause Töpfer abgestimmt war.“

Allerdings, so Müller-Helmbrecht, habe es aufgrund der Vorverlegung der Vereinigung auf den 3. Oktober zeitliche Probleme bei der Ausarbeitung der rechtlichen Bestimmungen gegeben. Und deshalb hätten die Umweltschützer die Klausel von Verkehrsminister Friedrich Zimmermann schlucken müssen, die jetzt in der Durchführungsvereinbarung zum Einigungsvertrag steht: „Die Verordnungen gelten mit der Maßgabe, daß sie auf den Neubau, den Ausbau und die Unterhaltung von Bundesverkehrswegen keine Anwendung finden.“

Die Schnellbahntrasse Hannover- Berlin beispielsweise, die den Drömling durchschneidet, wird nicht zu verhindern sein.