PDS-Finanzskandal
: Kein Wahlkampf ohne Gysi

■ Während die Staatsanwaltschaft in Sachen PDS-Schiebereien weiter auf Hochtouren ermittelt, hat die Partei gestern ihren Wahlkampf mit einer Kundgebung in Berlin eröffnet. An der Basis herrscht Erleichterung, daß Gysi, ohne den nichts mehr ginge, weitermacht.

Vom tiefsten Punkt aus will PDS-Parteichef Gregor Gysi den Kampf um die linke Erneuerung aufnehmen. Bei der zentralen Auftaktveranstaltung der Partei für den Bundestagswahlkampf im Dezember zeigten sich der Vorsitzende und seine Anhänger wild entschlossen, trotz des Geldschieberskandals „den Kampf aufzunehmen — jetzt erst recht!“ Nach Angaben der Polizei waren es 10.000, nach Schätzungen der Veranstalter über 50.000 Parteianhänger, die sich am Sonntag auf dem Berliner Alexanderplatz eingefunden hatten, um sich nach den demprimierenden Ereignissen der letzten Tage Mut machen zu lassen.

Ohne direkt auf den illegalen Millionentransfer des am Freitag verhafteten ehemaligen PDS-Schatzmeisters Wolfgang Pohl einzugehen, meinte Gysi: „Nicht die Schläge von rechts sind es, die uns fertigmachen, sondern jene, die aus den eigenen Reihen kommen.“ Aber, so verkündete er, es gebe auch einen Hoffnungsschimmer: er sei angenehm berührt von der Fähigkeit der PDS- Mitglieder zur Trauer und zur Solidarität. „Ich kenne keine andere Partei, die diese Fähigkeit besitzt“, rief er unter dem minutenlangen Beifall seiner dankbaren Zuhörer. Viele Zuschauer bekundeten mit Blumenstäußen und Transparenten ihre Sympathie für den Vorsitzenden, der noch am Freitag fest zum Rücktritt entschlossen schien und sich am Sonnabend nach einer ganztägigen Vorstandssitzung der PDS zum Weitermachen hatte überreden lassen. „Wir müssen jede Enttäuschung dazu nutzen, um zehn Schritte schneller vorwärts zu kommen. Die ganz, ganz schweren Stunden“, rief Gysi dem gebeutelten Parteivolk auf dem Alexanderplatz zu, „hat die PDS jetzt hinter sich. Jetzt kommen die kämpferischen Stunden, und das sind schöne Stunden.“

Keine Hinweise auf Verstrickung Gysis

Die Basis wollte allzu gern glauben, was ihr Vorsitzender vom Pritschenwagen herab verkündete. Daß er es selber glaubt, ist eher unwahrscheinlich. Denn nach Aussagen der Berliner Justizsenatorin Jutta Limbach laufen die Ermittlungen im Fall des ungeklärten Millionentransfers von PDS-Geldern auf Hochtouren. Man vermutet, daß möglicherweise weitere PDS-Gelder in zweistelliger Millionenhöhe beiseitegeschafft wurden. Allerdings, so Limbach, gebe es bisher keinerlei Hinweise auf eine persönliche Verstrickung Gysis in den Finanzskandal der PDS.

Der Vorsitzende selbst hatte am Freitag die Flucht nach vorn angetreten. Am Donnerstag war er nach Moskau geflogen und hatte sich davon überzeugt, daß die Überweisung von insgesamt 107 Millionen Mark an die Moskauer Firma „Putnik“ durch den Hallenser Kaufmann und PDS-Funktionär Karl-Heinz Kaufmann dazu diente, das unter Aufsicht einer Sonderkommission stehende Parteivermögen beiseitezuschaffen. Nachdem PDS-Schatzmeister Wolfgang Pohl und sein Mitarbeiter Wolfgang Langnitschke auf Drängen Gysis am Freitag während einer Pressekonferenz ihr Schuldeingeständis abgelegt hatten, durchsuchte die Polizei in Absprache mit Gysi noch am Freitagabend die PDS-Geschäftsstelle ein zweites Mal. Das erste Mal hatte die Staatsanwaltschaft in der Woche davor die PDS-Zentrale durchsucht, damals noch unter dem heftigen Protest des nichtsahnenden PDS-Vorsitzenden.

Auch die Wohnungen von Pohl und Langnitschke wurde inzwischen durchsucht. Bei Langnitschke, ehemals Stellvertretender Leiter der Abteilung Finanzen beim ZK der SED, wurde nach einer Mitteilung des Berliner Innensenats weiteres Material beschlagnahmt. Pohl und Langnitschke, inzwischen beide in der Untersuchungshaftanstalt Moabit, hatten am Freitag die gesamte Schuld auf sich genommen.

Altersversicherung für arbeitslose Genossen

Aus Moskau hat sich der ehemalige Hallenser PDS-Parteisekretär Karl- Heinz Kaufmann inzwischen gegenüber der Nachrichtenagentur 'adn‘ geäußert. Er habe zusammen mit Pohl und Langnitschke die 107 Millionen Mark wegen der angeblich drohenden Enteignung der PDS beiseiteschaffen wollen. Gysi habe davon nichts gewußt: „Ihn und (den PDS-Ehrenpräsidenten) Modrow wollten wir sauberhalten.“ Erst in der letzten Woche sei Gysi von ihm informiert worden. Gysi streitet diese Aussage Kaufmanns strikt ab.

Letztlich ist die Millionenschieberei an der Weigerung der sowjetischen KPdSU gescheitert, sich an dem Deal zu beteiligen. Mit den ins Ausland transferierten PDS-Millionen sollte nach Kaufmanns Angaben eine Ost-West-Handelsgesellschaft aufgebaut werden, um die „vielen Genossen unterzubringen, die jetzt keine Arbeit mehr haben“. Kaufmann ist sich keines Unrechts bewußt, weil es sich bei den Geldern um Eigentum der PDS handele.

Der Berliner Innensenat hebt in einer Erklärung die positive Zusammenarbeit mit den Moskauer Polizeibehörden hervor. Je zwei Beamte des Bundeskriminalamts und der Berliner Polizei hätten in Moskau ermitteln können. Auch ohne die Geständnisse Pohls und Langnitschkes hätte sich die Schlinge um die PDS- Geldschieber zusammengezogen. Der PDS sei nur noch die Flucht nach vorn geblieben. Im übrigen geht man bei der Polizei davon aus, daß über die drei namentlich bekannten hinaus noch weitere Personen in der Affaire verstrickt sind.

Nachdem Gysi am Freitag den dringenden Wunsch nach Rücktritt geäußert hatte, ließ er sich am Sonnabend während einer ganztägigen Vorstandssitzung wieder weichklopfen. Er begründete seine Bereitschaft, weiterhin an der Spitze der Partei zu stehen, damit, daß im Falle seines Rücktritts für die Partei und für die gesamte Linke eine Situation heraufbeschworen werde, die er nicht verantworten könne. Im übrigen will die Partei ihr Vermögen offenlegen und sich von all dem trennen, was sie nicht zur unmittelbaren Parteiarbeit braucht (s. auch Dokumentation).

Bonner Parteien üben harsche Kritik

Die Bonner Parteien haben die PDS frontal und in seltener Einigkeit angegriffen. Die CSU verlangte die Selbstauflösung der SED-Nachfolgepartei. SPD und FDP forderten die vollständige Offenlegung des PDS- Vermögens. Die Fraktionssprecherin der Grünen/Bündnis 90, Antje Vollmer, bedauerte aus „persönlichen und politischen Gründen“ Gysis Entscheidung gegen den Rücktritt. Eine einzelne Person könne niemals „die Glaubwürdigkeitslücke einer ganzen Partei schließen“. Die Krise der politischen Linken könne nur durch eine „illusionslose Bilanz der eigenen Fehler und einen unsentimentalen Realitätsbezug“ behoben werden. marke