: Elektronische Zollgrenze
■ ISDN-Kritiker: Telekom muß Markt für IBM öffnen BUCHREZESSION
Mit dem Umbau des gesamten Telefonnetzes in das digitale, computergerechte ISDN, das Sprache, Daten und Text billig und schnell transportieren soll, ist das deutsche Postunternehmen Telekom auf dem besten Weg in eine neuerliche Riesenpleite. Diesen Schluß legt zumindest die Lektüre von Was bringt uns die Telekommunikation des ISDN-Kritikers Herbert Kubicek und Peter Berger nahe.
Ergänzend zur Diskussion um die erheblichen sozialen und datenschutzrechtlichen Bedenken gegen das ISDN, die vor allem das von Herbert Kubicek mitgegründete „Institut für Informationsökologie“ in Gang brachte, steht hier der ökonomische (Un)Sinn des digitalen Netzes im Mittelpunkt — schließlich werden die Milliardeninvestitionen durch die Telefongebühren finanziert. Der Untertitel „ISDN — 66 kritische Antworten“ spielt bewußt auf den Anti-Atom- Klassiker „Zum richtigen Verständnis der Kernindustrie — 66 Erwiderungen“ an, der seinerzeit die Werbesprüche der Atomlobby akribisch sezierte.
Schon 1993 wollen die Postler alle alten elektromechanischen Verbindungsstellen gegen ISDN- fähige Vermittlungsrechner ausgetauscht haben, dann könnte potentiell jeder Telefonanschluß bundesweit gegen eine universelle Datensteckdose zum Telefonieren, Faxen und zur Datenübertragung ausgewechselt werden. Neben dem Zuckerbrot der „neuen Dienste“ hält die Telekommunikationslobby aber auch die argumentative Peitsche bereit: Verschließt sich die Bundesrepublik der technischen Innovation, seien Wirtschaftswachstum und damit Arbeitsplätze in Gefahr.
Dieser Mär vom Wachstumsmotor halten die Autoren entgegen, daß weder bei Wirtschaft noch privaten Verbrauchern ein tatsächlicher Bedarf auszumachen ist: Das bereits bestehende Digitalnetz IDN bietet ähnliche Leistungsmerkmale, der einzige Shooting-star der Telekommunikation, das Fax, funktioniert auch über das vorhandene Fernsprechnetz, und allein zum Telefonieren wird sich kaum jemand einen neuen Anschluß zulegen.
Eine düstere Prognose, die auch zunehmend in der Fachpresse und selbst in Postpublikationen gehandelt wird. Kubicek/Berger schlagen statt der teuren Umrüstung des Telefonnetzes zur Datenautobahn die Modernisierung des IDN und die Beibehaltung der analogen Fernmeldetechnik vor, die anonyme und preiswerte Sprachübertragung gewährleistet.
Das eiserne Festhalten an ISDN erklärt sich nach Kubicek/Berger denn auch mehr aus der schwachen Hoffnung von Telekom und Bundesregierung, über die Einführung eines eigenen Standards die Konkurrenz aus Übersee auszusperren, allen voran „Big Blue“ IBM, dem Marktführer im Bereich des betrieblichen Datentransports. Der amerikanische Computerriese entwickelte dafür bereits in den Siebzigern eine eigene Netzwerktechnologie namens SNA. Das dazu nicht kompatible ISDN soll, so die Autoren, der europäischen Fernmeldeindustrie hinter einer Art elektronischer Zollgrenze etwas Luft verschaffen gegenüber dem allmächtigen Wettbewerber, zumindest in den öffentlichen Netzen.
Diese Rechnung wird aber schon durch die Strukturreform der Bundespost auf den Kopf gestellt. Erst letztes Jahr wurden erhebliche Teile des Fernmeldemonopols aufgegeben: Endgeräte dürfen frei gehandelt werden, und private Anbieter können Dienstleistungen auf dem Netz der Post abwickeln. All das, so die Annahme, soll auf Druck der US-Regierung geschehen sein, die eine Liberalisierung der europäischen Telekommunikation nach amerikanischem Vorbild anstrebe. Heraus käme ein offener Markt, auch und gerade für IBM, und das ISDN stände vor dem K.O. — noch vor dem Gong zur ersten Runde. Frank Holzkamp
Herbert Kubicek, Peter Berger: Was bringt uns die Telekommunikation. Campus Verlag, 211 Seiten, 19,80 DM
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