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Die Taylorisierung der Büroarbeit

Orgatec 90: Aus Schreibtischen werden Verbundarbeitsplätze/ Computerfirmen wollen mit einem Ehrenkodex irreführende Produktwerbung verhindern  ■ Aus Köln Martin Fischer

„Mehr Freiheit im Lebensraum Büro“, „Schöne neue (Büro) Welt“, „Koexistenz von Automaten und Akten“, „Kommunikation total“: Für immerhin 200.000 Menschen sind derlei Sprüche attraktiv genug, um in der Rheinmetropole auf jenen 250.000 Quadratmetern herumzuirren, auf denen mehr als 2.000 Anbieter aus 30 Ländern einen Gemischtwarenladen in Sachen Büro aufgebaut haben.

Die inländische Büro-, Informations- und Kommunikationsbranche, die im ersten Halbjahr 1990 mit einem Handelsbilanzdefizit von 5,2 Milliarden DM einen veritablen Rekord aufgestellt hat, spricht von einem „Strukturwandel“ und umschreibt damit rückläufige Produktionszahlen in der Bundesrepublik bei riesigen Importzuwächsen. Jene Produkte, die dem Geschäft noch immer Zuwachsraten bescheren, kommen immer häufiger aus Südostasien: PCs, Bildschirme, Drucker, Fax-Geräte, schnurlose Telefone. 1989 wurden in der Bundesrepublik 895.000 PCs verkauft, in den ersten neun Monaten dieses Jahres bereits 615.000 Telefaxgeräte. Die Nachfrage nach Btx, kommerziellen Mailboxen und ISDN-Endgeräten stagniert nach wie vor.

Auf der Kölner Bürofachmesse Orgatec — längst eine von jenen Computer-Messen, bei denen die Großen des Marktes entweder ganz zu Hause bleiben oder im besten Falle eine Vertriebsfirma delegieren —, wirken selbst die aktuelleren Produkte der High-Tech-Industrie schon ziemlich überholt. Was auch daran liegen mag, daß die Erlangung der zahllosen deutschen Prüfplaketten, die vor allem für den Mittelstand so ungemein wichtig sind, mittlerweile länger dauert als der Produktzyklus der Branche.

Bereits im Vorfeld der Orgatec wurde die derzeit einzige relevante Neuigkeit durchgegeben: deutlich spürbare Preissenkungen bei Hardware. Der teure Branchenriese IBM setzt mit einer peinlichen Anzeigenkampagne „PS statt PC“ ganz auf die Werbewirksamkeit des deutschen Faszinosums Auto. Während IBM die PC-Reihe „Personal-System/2“ in der Sprache der Autoindustrie anpreist („Beschleunigungswerte“, „Leistungsreserven“, „volle Touren“, „Probefahrt“) und auf dem Bildschirm Tacho, Drehzahlmesser und Benzinuhr zeigt, steht auf Apples Messestand eben dieses IBM- Gerät unkommentiert inmitten von Macintosh-Rechnern, unverkabelt und ohne Stromanschluß — bereit zum Abtransport auf die Müllhalde.

Obwohl sich auch hierzulande tatsächlich immer mehr Computerschrott ansammelt — geschätzte 3,5 Millionen PCs stehen bereits in den Büros —, fehlen auf der Orgatec entsprechende Impulse von Handel und Industrie. Ganze zwei Firmen machen mit ökologischen Argumenten auf sich aufmerksam, die zudem ausgesprochen ökonomisch sind. Sie bieten Recycling von Drucker-Farbbändern und -Patronen an.

Daß PCs heute in den Büros das wiederholen, was zu Beginn des Jahrhunderts in den Fabrikhallen die Fließbänder zuwege brachten, zeigt sich auch auf der Orgatec: In den Großraumbüros werden aus Schreibtischen Verbundarbeitsplätze. Über lokale PC-Netze wandern die Bruchstücke menschlicher Arbeit quer durch die Abteilung, übers Telefon-Netz von Firmenstandort zu Firmenstandort. Die Vereinheitlichung der Bildschirmmasken verhilft zu einer enormen Reduzierung arbeitsplatzspezifischer Qualifikation. Die digitale Bereitstellung aller notwendigen Arbeitsinformationen, der Datenaustausch und -anruf via PC-Netz, fördert die Vereinzelung vor dem Bildschirm. Beiläufige soziale Interaktionen, bisher Nebeneffekt traditioneller Bürotätigkeiten, entfallen damit vollständig. Die Ersetzung der gelben Post durch Telefax verkürzt zudem den geschäftlichen Kommunikationszyklus im Büroalltag. Wie auf diese Weise die von Gewerkschaften und Arbeitsmedizin geforderten „Mischarbeitsplätze“, bei denen Bildschirmarbeit höchstens zwei bis vier Stunden am Tag betragen soll, geschaffen werden können, bleibt rätselhaft.

Noch klafft zwischen Systemphilosophie und Arbeitsalltag ein riesiges Loch, das sich dem angeschlagenen Ruf der Software-Industrie verdankt, die in ihrer Werbung häufig vollmundig verspricht, was ihre Produkte längst nicht zu leisten imstande sind. Die eben in den USA gegründete „Software Business Practices Council Inc.“ (SBPC) will damit Schluß machen: „Es stimmt etwas nicht in der Software-Industrie. Die Unternehmen, die Software entwickeln und vertreiben, wissen es — die Kunden auch.“ SBPC bemängelt vor allem irreführende Produktwerbung und die Ankündigung von Vaporware, also von Systemen, die noch gar nicht existieren und deshalb über Monate und Jahre nicht verfügbar sein werden. Zur Wiederherstellung der Reputation wollen sich die bisher 16 SBPC-Mitglieder, darunter immerhin Ashton-Tate und Lotus Development, auf einen Ehrenkodex einigen, der verbindliche Regelungen für Produktankündigungen und -beschreibungen enthalten soll. Die Branchenriesen IBM, Microsoft und Computer Associates (CA) haben sich der SBPC nicht angeschlossen. Marketing-Vize von CA, Bryan Shephard, kommentiert: „Wie könnten wir uns im Vollbesitz unserer geistigen Kräfte dazu verpflichten, unsere Produkte nicht vorzeitig anzukündigen, ohne daß unser größter Konkurrent dasselbe tut?“

Der heimliche Hit der Orgatec kommt diesmal aus der Gartenbranche: Chemisch „stabilisierte“ Grünpflanzen, die Wasser und sonstige Pflege weder brauchen noch ertragen. Die Idee ist ausbaufähig. Wir sollten uns auf die Ankündigung von entsprechend „stabilisierten Büromenschen“ vorbereiten.

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