: Geschlossen mit dem Kleisterquast
■ Die Bremer Parteien im Wahlkampf 1990 / 8.000 Plakate täglich zu erneuern
Dunkle Wolken rasen über den Himmel, Menschen hasten mit hochgeschlagenen Kragen durch prasselnden Regen, braune Blätter wirbeln als Vorboten des Schnees über die Straßen — und bleiben überrascht an bunten, lächelnden Hindernissen kleben: Mit rund 8.000 Wahlplakaten wollen die Bremer Parteien den grauen Herbst verschönern. Aber ach, was muß die Herbstspaziergängerin sehen? Lauter Oskars mit herausgeschnittenen Augen, lauter zerfetzte Bernds und das entschlossene „Wir wollen“ der SPD von frevelhaften Händen ergänzt mit einem schlichten — „nicht“. Aber alle Bremer Parteien sind auf den grassierenden Wahlvandalismus vorbereitet und kleben immer wieder neu.
Und irgendwie macht es ihnen auch Spaß, während des Wahlkampfes öffenlichkeitsmäßig zu powern. „Es ist eine ganz besondere Zeit“, schwärmt Andreas Penning, Generalsekretär des CDU-Landesverbandes, „da kann man massiver, intensiver, pointierter etwas los werden“. Beispielsweise „Ja zu Deutschland, ja zur Zukunft, gemeinsam schaffen wir's“ vor dem Hintergrund einer wehenden Deutschlandfahne. Die Grünen kontern: „Für ein Deutschland, das keinem mehr Angst macht“. Auch sie legen sich ordentlich ins Zeug. „Obwohl Oskar keine Chance hat“, so Jochen Grabler von den Grünen, „ist für uns der Wahlkampf noch lange nicht gelaufen. Wir brauchen über 10 Prozent, um Ralf in den Bundestag zu kriegen.“ Traditionsgemäß verzichten die Grünen auf den „Köpfewahlkampf“. Sie setzen wieder auf die Symbolkraft von Bildern: eine Landschaft, die langsam durch eine Sanduhr rinnt, einen Brummkreisel, der behauptet, einmal ein Panzer gewesen zu sein. Ein Plakat, das Deutschland mit einem Gartenzwerg abhandelt, war den Bremer Grünen zu „scenemäßig“ — es wird hier nicht zu sehen sein.
„Jetzt wollen wir's wissen“ feuert Manfred Jabs, Geschäftsführer des SPD-Landesverbandes sich und die Bremer GenossenInnen an, die laut Plakat „ökologisch, sozial und wirtschaftlich stark“ sein sollen. Immerhin haben alle engagierten GenossInnen zu Hause einen Eimer Kleister stehen.
So richtig Bremisch wird es auf unzähligen Wahlveranstaltungen, die sich ab sofort über ganz Bremen und Bremerhaven ergießen: Die SPD veranstaltet „Talk- Runden“ mit Ilse Janz und „sachverständigen Gesprächspartnern“, hier: SenatorInnen und WirtschaftvertreterInnen, weiterhin Podiumsdiskussionen mit Kandidat Ernst Walthemathe und JusoIn Susi Möbbeck.
Die Grünen werben auf ihren Wahlkampfveranstaltung mit prominenten Köpfen aus bremischer Kultur und Politik und diskutieren ihr Verhältnis zu den Bürgerbewegungen. Die Bremer CDU hat „keine eigenen Schwerpunkte“: Andreas Penning: „Wir nehmen Bremen als Beispiel, wie wenig die Sozialdemokraten geeignet sind, Entscheidungsträger zu sein.“ bear
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen