■ Chemical People + Raunch Hands

Wieder mal ein Abend, der ein Mahnmal setzen soll für den Dauer-Teenie, das ewige Jungsein, das Nicht-Altern-Wollen um den Preis, das Leben zu verpassen — die endgültige, fast schon senile Kindsköpfigkeit. All das ist natürlich nicht so einfach, wie es klingt, weil dabei bei beiden Bands — Chemical People und Raunch Hands — viel zu viel Koketterie im Spiel ist.

Die Chemical People sammeln Comics und verstehen sich selbst als Comicgestalten, sind als solche aufs Plattencover gezeichnet. Zusätzlich sehen sich auch noch aus wie welche oder zumindest direkt aus dem Ramones-Film »Rock'n‘Roll Highschool« entsprungen: kleine, dürre Jungs mit zu langen Haaren, zu bösen Blicken und zu glatten Gesichtern, um sowas überhaupt ernst zu nehmen. Sie nehmen sich selbst auch überhaupt nicht ernst und prahlen zudem mit einem Pornofanatismus, so wie kleine Jungs mit ihrer Mickey Mouse- Sammlung angeben.

Sexisten sind sie trotzdem keine, jedenfalls auch nicht mehr als die Moralisten, die nichts weiter zu tun haben als erzürnte Briefe zu schreiben (ein in den USA weit verbreiteter Volkssport). Das ist eher ihrem jugendlich rüden Humor zuzuordnen, der sie dazu treibt auf ihrer Platte zwischen dem einen Primitiv-Instrumental und dem nächsten ca. drei Minuten leer zu lassen. Kein Ton drei Minuten lang, nicht mal Rauschen. Hat aber leider keinen Titel — das wäre dann wirklich klasse.

Die Chemical People sind auf Cruz Records, dem Label von ALL und die letzte Platte ist produziert von Bill Stevenson und Stephen Egerton, ihres Zeichens Trommler und Gitarrist von ALL. Wer diese Seiten öfter liest, wird schon bemerkt haben, daß ALL hier nicht unbeliebt sind. Und Stevenson und Egerton haben es geschafft, den Chemical People eine Ahnung von ALLroys Genialität zu vermitteln, die Melodien auf das lakonisch Nötigste zu beschränken, den Sound roh und einfach zu belassen, kurz: sich dem ehrenhaften Unterfangen der Reduzierung zu widmen. Doch während ALL das Feld Hardcore bearbeiten, ackern sich die Chemical People noch durch das letzte Jahrzehnt und sind erst bei der mittleren bis letzten Phase der Ramones angelangt. Aber das ist ja auch nicht das schlechteste.

Die Raunch Hands sind zwar auch Comic, aber eher Bilal als Marvel. Gegerbte, vernarbte, finstere Gesichter und älter. Und weiter zurück in der Musikgeschichte. Ihr Ding ist der Rhythm & Blues. Und sie spielen ihn laut und roh und schnell und ohne Rücksicht auf geschmäcklerische Traditionalisten. Stattdessen können die Raunch Hands an jedem normalen Tag jeden mittelgroßen Club dem Erdboden gleichmachen, ohne groß ins Schwitzen zu geraten. Außer dem Sänger, der hat Asthma und sollte es eigentlich bleiben lassen. Hört sich so aber gut an, deshalb macht er weiter.

Die Raunch Hands machen kleine, schmalzige Surfsongs zu großen, dreckigen Surfsongs, triefende Balladen zu Splattermoviesoundtracks und kurz groovende Rhythm & Blues-Songs zu immer noch groovenden, aber vor allem krachenden R&B-Songs. Alles dängelt, klappert, krächzt und ächzt, daß es eine wahre Pracht ist. Das ist kein Sound, sondern eine Mülltonne.

Wenn also Oscar heute abend die Sesam- mit der Hauptstraße verwechselt, und im Ecstasy aus seiner Tonne steigt, und ein Mikro in der Hand hält, wißt ihr, wie seine Lieblingsband heißt. Ein großer Abend steht an. Ein großer Abend für Geistlosigkeiten und Unvorsichtigkeiten, für dümmsten Spaß und kindlichstes Vergnügen. Und vor allem für schnell und sinnlose Musik. to

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