Befreier im Osten, Geldwäscher im Westen

■ Unterschiedliche politische Kultur fordert im Wahlkampf ihren Tribut/ Ironie ist gefährlich

Berlin. Eins muß man der blöden Pädo-Kampagne der SPD (Kleinstmädchen/Hantel) und der klosterfrau-mellissengeistlichen Werbung der CDU (»Noch nie war sie so notwendig wie heute«) ja lassen: beide Staatsparteien haben damit neue volkskünstlerische Spielräume geschaffen.

So wird in Tempelhof und Neukölln der Sozi-Slogan »Mit uns gelingt's« gern mit den Wörtchen »leider auch nicht«, »Chaos« und »nix« ergänzt. Oder: »Von uns gelinkt«. Die martialisch tönende CDU hingegen muß in Kreuzberg und am Prenzelberg dran glauben: »Noch nie war sie so wendig wie heute«. Ihre reaktionären Sprechblasen werden schwarz überkleckert. Von »Ich bin gegen das Ausländerwahlrecht« bleibt nur »Ich bin gegen das Wahlrecht«. CDU-Chef Diepgen, der mit geballter Faust »den Stau auflösen« und die U-Bahn sicherer machen will, kommt kaum ohne Hitlerbärtchen weg.

Die zur Zurückhaltung gezwungene PDS hat lediglich die flache Wortcollage »Demokratie braucht (OP-)Position« zu bieten, was bislang niemanden zur Spraydose greifen läßt. AL und Bündnis 90 bauen vor: Sie machen gleich mit bereits ergänzten Sprüchen Werbung — genauer gesagt mit konservativen Volksweisheiten, die fortschrittlich abgebogen werden. Beispiel: »Freie Fahrt für freie Bürger — Mit Bus, Bahn und Rad«. Oder: »Frauen gehören ins Haus — Ins Rathaus«.

Die FDP bietet plakatmäßig nur Gesichter an. Auf Berliner Ebene das der Spitzenkandidatin Carola von Braun, für den gesamtdeutschen Urnengang die Altherren Genscher und Lambsdorff. Während der Befreier von Prag im Osten dominiert, regiert im Westen Graf Geldwäscher. Auf das Ost- West-Gefälle in der politischen Kultur nehmen auch die Alternativen und die Christdemokraten Rücksicht: So stellen die ALer nur drei ihrer acht Plakate im Ostteil auf, weil sie fürchten, daß zuviel Ironie »drüben« nicht oder nur kontraproduktiv ankommt. Der Slogan am unteren Rand des Plakats wird überklebt. Denn »Standpunkte statt Lippenbekenntnisse« kann in der Ex-DDR nur mißverstanden werden. Schließlich war der »Standpunkt« immer Klassenstandpunkt, Parteistandpunkt und so weiter.

Die CDU setzt ebenfalls unterschiedliche Schwerpunkte: So fehlen im Ostteil der Stadt die Plakate für zur hochgeputschten Verkehrsdiskussion und die Sprüche gegen das Ausländerwahlrecht (schließlich gab's sowas im Osten). Zugepflastert wurde der Osten hingegen mit dem Slogan »Gleicher Lohn für gleiche Arbeit«.

Nur die SPD braucht gar keine Ost-West-Rücksicht zu nehmen — inhaltsleer bleibt inhaltsleer. Und so ist auch schon das passende Nachfolge-Plakat ausersehen: Zwei Jungs, diesmal etwas älter und bekleidet, stehen zusammen in einem überdimensionalen Mantel, der mit einem roten Momper-Schal garniert ist — United Colors of Sozialdemokratie. Überschrift: »Berlin gelingt's«. kotte