: Lummer vs. Goethe vs. Berlin
■ Neue Runde im Kulturkampf um die richtige Hauptstadt: HeinrichLummer will in Bonn für Berlin werben — wird aber nicht gedruckt
Bonn hat ein Kulturleben. Bonn hat auch eine Oper, die Oper Bonn. Und die Oper Bonn hat eine eigene Zeitschrift, die 'oper bonn‘. Heinrich Lummer (CDU), der rechtsradikale Berliner Volksvertreter am Rhein, hat eine historische Mission.
Die Vorgeschichte eines Zensurskandals: Heinrich Lummer oder einem seiner Mitarbeiter fällt vor einigen Wochen die Septemberausgabe von 'oper bonn‘ in die Hände. Innendrin ein schamloser Meinungsartikel, der sich offen gegen die Hauptstadt Berlin ausspricht. Sogleich fordert Lummer Revanche. Er bekommt sie auch zugesagt — allerdings wird der arme Heinrich bis heute von den Opereigenwerbern hingehalten. Seine Entgegnung entspreche »nicht dem Stil unseres Magazins«, sei »zu lang« und solle »überarbeitet« werden. Außerdem habe man ihm »keine Versprechungen gemacht«.
Autor der Lummer aufstoßenden Antiberlinade ist Paul Zurnieden, von 1959 bis 1983 Pressesprecher der Stadt Bonn. Unter dem Titel Ein Plädoyer für Bonn fährt Zurnieden Literaten (Goethe), Soziologen (Plessner) und die Steuerzahler (wir alle) auf, um vor dem kulturellen Sog der neuen Hauptstadt Berlin zu warnen. Sie werde Restdeutschland zur kulturellen Provinz degradieren. So sei es auch Dresden, München, Darmstadt und Weimar nach der Reichsgründung 1871 ergangen. Und das habe schon das Allround- Talent Goethe im Monolog mit Eckermann vorausschauend erkannt.
Die ganze Moderne vom Lande (Brücke, Blauer Reiter, Mathildenhöhe und van de Velde) schändlich gebremst durch die überlebensgroße Zentrale! Überhaupt hätten die vom Verfall bedrohten Städte Leipzig und Dresden zu Recht und viel mehr »Ansprüche an die Steuerzahler«. Die Freiheit Berlins, so Zurnieden, sei »auf den Straßen dieser beiden Städte erkämpft worden«. Hauptstadt nein, Kulturmetropole ja, aber bitte billiger.
Soviel Bären läßt sich Lummer natürlich nicht aufbinden. Was bitte sei in der Vereinigungsnacht, als zwei Millionen Deutsche am Reichstag die Flagge weihten, auf dem Bonner Marktplatz losgewesen? Statt Videobildern aus der echten Hauptstadt bloß Rockvideos. »Überheblichkeit im Gewande der Bescheidenheit«, jawoll! Die Freiheit Berlins sei in Dresden und Leipzig erreicht worden? Quatsch mit Sättigungsbeilage! Die Freiheit Berlins war »ein Geschenk der bundesdeutschen Steuerzahler und der Alliierten«. Von einer »Bevölkerung erzwungen, die sich gegen jeglichen Totalitarismus als resistent erwies«, die während der Blockade hungerte und fror »im Namen der Freiheit«, die am 17. Juni 1953 aufstand gegen das kommunistische System und ausharrte auch nach dem Mauernbau.
Goethe sei der falsche Zeuge für die Theorie von der kulturellen Verödung der Provinz, meint Lummer. Schließlich sei es Goethe »leider nicht mehr gegönnt« gewesen, die Reichsgründung und ihre Folgen zu erleben. Überhaupt sei die Kultur in Deutschland immer schon dezentralisiert gewesen (Frau Martiny, aufgemerkt!). So habe es Gerhard Hauptmann immer wieder nach Schlesien gezogen, habe Thomas Mann gern in München gelebt, sei in Weimar ein Bauhaus (Lummer: »neuartiger Schultyp«) entstanden.
Wie wird der Zensurskandal ausgehen? Wird Heinrich Lummer endlich abgedruckt? Wird Berlin wieder Kulturhauptstadt? Wann beginnt der seit 1871 vorprogrammierte Niedergang des Bonner Opernhauses? Ist das Bauhaus provinziell?
Ansporn für Heinrich unter Telefon 0228/163622, Trost an die Oper unter Telefon 0228/728-1. kotte
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