Merkle: „Ein moralischer Freispruch“

Im Stuttgarter Parteispendenprozeß fällte das Gericht ein wahrhaft salomonisches Urteil/ Verstrickung der Finanzverwaltung und der schwäbischen Politiker die eigentliche „Gretchenfrage“  ■ Aus Stuttgart Erwin Single

Der frühere Bosch-Chef Hans Lutz Merkle ist im Parteispendenprozeß vor dem Stuttgarter Landgericht der Steuerhinterziehung in mehreren Fällen schuldig gesprochen, aber unter Androhung einer Geldstrafe lediglich verwarnt worden. In einem wahrhaft salomonischen Urteil erteilte das Gericht Merkle die Auflage, jeweils 200.000 D-Mark an drei gemeinnützige Einrichtungen zu bezahlen. Die 6.Wirtschaftsstrafkammer behielt sich vor, den Angeklagten mit einer Geldstrafe von insgesamt 600.000 D-Mark zu belegen, falls er den Spenden nicht nachkomme oder in der eingeräumten einjährigen Bewährungsfrist gegen das Gesetz verstoße. Merkle ist damit nicht vorbestraft.

In der mündlichen Urteilsbegründung wurde Merkle der Hinterziehung von Gewerbe- und Körperschaftssteuern für die Jahre 1979 und 1980 sowie der Gewerbesteuerhinterziehung für das Jahr 1978 in Höhe von insgesamt 1,484 Millionen D-Mark für schuldig befunden. Für das Jahr 1981 wurde er vom Anklagevorwurf freigesprochen; in den anderen Fällen wurde das Verfahren wegen eingetretener Verfolgungsverjährung eingestellt. Die Staatsanwaltschaft hatte Merkle zur Last gelegt, zwischen 1971 und 1980 über sechs Millionen D-Mark Mitgliedsbeiträge an die als Berufsverband ausgewiesene „Förder-Gesellschaft“ zu Unrecht als Betriebsausgaben abgesetzt und damit knapp vier Millionen D-Mark an Steuern hinterzogen zu haben. Während die Ankläger eine Geldstrafe von 600.000 D-Mark forderten, hatten die Verteidiger Merkles auf Freispruch plädiert.

Es falle schwer, begann Richter Teichmann seine Urteilsbegründung, am Ende eines solch langen Verfahrens sachlich zu bleiben. Teichmann folgte in seiner detaillierten Darlegung der Argumentation, bei der als Spendenwaschanlage enttarnten „Gesellschaft zur Förderung der Wirtschaft Baden-Württembergs e.V.“ handle es sich um keinen steuerbefreiten Berufsverband, sondern vielmehr um einen politischen Verband, dessen vorrangiger Zweck es gewesen sei, Parteien finanziell unter die Arme zu greifen. Merkle habe dies als Gründungs- und langjähriges Kuratoriumsmitglied, als „Insider“ sozusagen, gewußt. Das Gericht ging allerdings davon aus, daß Merkle die dubiosen Umwegfinanzierungswege von einem Verband zum nächsten nicht kannte. Die Firma Bosch, für deren Steuererklärung Merkle die „organschaftliche Verantwortung“ trage, habe die Mitgliedsbeiträge an die „Förder-Gesellschaft“ ohne Hinweis auf ihre „wirkliche Zweckbestimmung“ als ertragsmindernde Ausgaben angegeben; der frühere Manager sei aber vom Vorwurf einer vorsätzlichen Steuerhinterziehung freizusprechen. Merkles erklärte Absicht sei es nicht gewesen, Steuern zu hinterziehen; vielmehr sei das gesamte System der Parteienfinanzierung so angelegt gewesen, von den Finanzbehörden durchschaut und laufengelassen zu werden.

Schuldspruch und mildernde Umstände

Die Verstrickung der Finanzverwaltung und Politiker in die Parteispendenaffäre bezeichnete Teichmann als die „Gretchenfrage“ des Prozesses. Noch einmal wiederholte er seine in dem Einstellungsvorschlag vom Juli formulierte Feststellung: Die Beweisaufnahme habe zu Tage gefördert, daß nicht nur politische Mandatsträger, sondern auch hochrangige Amtsträger das System der finanziellen Unterstützung der Parteien nicht nur angeregt und über Jahrzehnte hingenommen, sondern „es aktiv abgeschirmt“ und die Verantwortlichen der Unternehmen „in Kenntnis der steuerlichen Hintergründe“ ständig zu neuen Spenden gedrängt haben.

Trotz der Mitwisserschaft ließe sich aber ein Schuldspruch gegen Merkle nicht ausräumen, erklärte Teichmann. „Wir erkennen strafmildernd an“, so Teichmann am Ende zum Angeklagten Merkle, „daß Sie als Geldgeber gerichtlich verfolgt werden, während die politischen Nutznießer keinerlei Konsequenzen befürchten müssen.“ Merkle kommentierte daraufhin das Urteil: „Das ist ein moralischer Freispruch.“ Und fügte hinzu: „Ich habe mein Ziel erreicht.“