: Das Geständnis der RAF-Aussteiger
■ Sechs ehemalige Mitglieder der RAF, im Juni in der DDR festenommen, haben ausführlich über die Anschläge aus den Jahren 1977-81 berichtet, an denen sie selbst beteiligt waren. Bundesanwalt von Stahl ...
Die Bundesanwaltschaft sieht durch die Aussagen der im Sommer dieses Jahres in der DDR festgenommenen RAF-Aussteiger die Anschläge der Gruppe zwischen 1977 und 1981 im wesentlichen aufgeklärt. Das hat Generalbundesanwalt Alexander von Stahl am Mittwoch in Karlsruhe bekanntgegeben. Sechs der acht in der DDR festgenommenen RAF-Aussteiger haben nach Stahls Worten umfassende Aussagen gemacht. Nur Inge Viett habe kein Geständnis abgelegt. Der Generalbundesanwalt sagte, er werde sich dafür einsetzen, daß die Kronzeugenregelung „mit Augenmaß“ auf die sechs angewendet wird. Die Aussagen hätten die bisherigen Ermittlungen nicht revidiert, aber wesentlich neue Erkenntnisse gebracht.
Unklar ist noch immer, wer im Herbst 1977 den damaligen Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie und der Arbeitgebervereinigung, Hanns Martin Schleyer, erschossen hat. Dazu habe keiner der Festgenommenen eine Aussage gemacht, sagte Stahl. Durch die Geständnisse weitgehend aufgeklärt seien vor allem:
—Die Ermordung von Generalbundesanwalt Siegfried Buback und seiner beiden Begleiter am 7. April 1977,
—die versuchte Entführung und die Ermordung des Bankiers Jürgen Ponto am 30. Juli 1977,
—der versuchte Granatwerferanschlag auf die Bundesanwaltschaft am 25. August 1977,
—die Entführung Schleyers, die Ermordung seines Fahrers und seiner drei Begleitschutzbeamten am 5.September 1977,
—die Ermordung eines Polizeibeamten in Dortmund am 24. September 1978,
—der Mordanschlag auf den Oberkommandierenden der Nato-Truppen in Europa, Alexander Haig, am 25. Juni 1979 in Obourg in Belgien,
—der bewaffnete Bankraub in der Fußgängerzone von Zürich, an den sich eine Schießerei und ein Mord anschlossen,
—der Sprengstoffanschlag auf die US-Luftwaffenbasis in Ramstein am 31. August 1981
—und der Mordanschlag auf den US-General Frederik Kroesen im September 1981 in Heidelberg.
Stahl dementierte im Zusammenhang mit der Kronzeugenregelung energisch, gegenüber Verteidigern und Mandanten Gegenleistungen für die Aussagewilligkeit eingeräumt zu haben. Geständig waren Susanne Albrecht, Werner Lotze, Silke Maier-Witt, Henning Beer, Monika Helbing und Sigrid Sternebeck.
Die laufenden Ermittlungen hätten die bisherigen Erkenntisse der Terroristenfahnder weitgehend bestätigt und noch vorhandene Lücken großenteils ausgefüllt, so Stahl weiter. Die Gereralstaatsanwaltschaft sieht sich nach des Aussagen der RAF-Aussteiger bisher jedoch in keinem Fall veranlaßt, gerichtliche Entscheidungen zu revidieren und Wideraufnahmeverfahren zugunsten von rechtskräftig Verurteilten einzuleiten. Stahl räumte jedoch ein, daß die Angaben zu „Verdachtsmomenten“ für von anderen, ebenfalls bereits verurteilten RAF-Mitgliedern begangene Straftaten geführt hätten. Daß über Peter-Jügen Boock hinaus, gegen den wegen Beteiligung an einem Banküberfall in Zürich im November 1979 sowie Mord und Mordversuch im Zuge der Flucht ein neuer Haftbefehl erlassen wurde, noch weitere Personen belastet wurden, bestätigte Stahl, ohne jedoch Einzelheiten preiszugeben.
Buback, Ponto, Schleyer
In den Zeitraum der nun scheinbar aufgeklärten Anschläge fällt unter anderem die Ermordung des damaligen Generalbundesanwalts Siegfried Buback, des Bankiers Jürgen Ponto und des früheren Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer im Jahre 1977 sowie das mißglückte Attentat auf den Nato-Oberkommandierenden Alexander Haig 1979 in Belgien. Während Tatgeschehen und die daran beteiligten Personen bei den Anklägern inzwischen als bekannt gelten, blieben aber auch nach den Geständnissen einiger der inhaftierten Ex-RAF-Mitglieder noch Fragen offen. Nach wie vor ungeklärt ist beispielsweise, wer von den im „Komplex Schleyer“ bereits Verurteilten die tödlichen Schüsse auf den entführten Arbeitgeberpräsidenten abgegeben hat. Für die Entführung und Ermordung Schleyers wurde bisher Christian Klar, Brigitte Mohnhaupt, Adelheit Schulz, Rolf-Klemens Wagner, Stefan Wisniewski und Peter-Jürgen Boock verurteilt.
Susanne Albrecht habe eine Beteiligung an dem Anschlag gegen General Haig zugeben; sie habe mehrfach die Fahrtstrecke im belgischen Obourg ausgespäht. Sie bestreite jedoch, an der Ermordung Pontos beteiligt und von dieser Absicht auch nur gewußt zu haben. Die tödlichen Schüsse soll nach Albrechts Darstellung nicht die inzwischen verurteilte Brigitte Mohnhaupt, sondern Christian Klar abgegeben haben. Henning Beer hat neben dem ihm bislang lediglich zur Last gelegten Anschlag auf den Luftwaffenstützpunkt Ramstein die Beteiligung an der Vorbereitung der Anschläge auf die Generäle Haig und Kroesen sowie die Mitwirkung an dem Züricher Banküberfall zugegeben; der Haftbefehl gegen Behr wegen eines im Juni 1988 im spanischen Rota verübten Sprengstoffanschlags wurde inzwischen aufgehoben, da sich Beer zu dieser Zeit in der DDR aufhielt.
Das Aussageverhalten der in der DDR festgenommenen ehemaligen RAF-Mitglieder unterscheide sich, was die Aussagebereitschaft anbelange, „grundlegend“ vom Auftreten anderer RAF-Inhaftierter, erklärte Stahl. Zum grundlegenden Selbstverständnis habe es gehört, daß festgenommene Terroristen niemals gegenüber Behörden Angaben zur Sache machten. Die jetzigen Aussagen böten über die Aufklärung von Straftaten hinaus erstmals die Möglichkeit, „die personellen und logistischen Strukturen“ der RAF in den Jahren 1977 bis 1981 zu „durchleuchten“. Bestätigt habe sich auch, daß die RAF über das bekannte Ausmaß hinaus über weitere konspirative Wohungen und Erd-Depots verfügte und der Entscheidungsfindung innerhalb der Gruppe eine kollektive Willensbildung zugrunde lag. In der Unterstützerszene hätten die Aussagen der RAF-Aussteiger bereits erhebliche Verunsicherungen und Irritationen ausgelöst; Stahl hofft, daß durch derartige „Signalwirkung“ der „Monolith RAF ins Wanken“ kommt.
Die Übersiedlung in die DDR
Nicht vollständig aufgeklärt sind die Umstände, unter denen die RAF-Aussteiger in die damalige DDR übersiedelten. Wegen der Beherbergung der Aussteiger in der DDR liefen bereits Ermittlungsverfahren gegen den ehemaligen Minister für Staatssicherheit, Erich Mielke, und seinen Stellvertreter Gerhard Neiber.
Für die Generalbundesanwaltschaft steht inzwischen fest, daß sich alle zur Zeit der Einreise in die DDR von der RAF gelöst hatten und sich danach nicht an Aktionen der RAF beteiligt hätten. Die „Daseinsverhältnisse der ehemaligen Revolutionäre“ in der DDR seien, so analysierte Stahl, von „zutiefst bürgerlichem, wenn nicht kleinbürgerlichen Zuschnitt“ gewesen, sie hätten sich „völlig in das dortige Leben eingepaßt“. Über die Einbindung der DDR- Behörden in die Vorbereitung der Übersiedlung haben die Aussagen der RAF-Aussteiger keine konkreten Hinweise geliefert; Stahl ist jedoch davon überzeugt, daß die damalige Staats- und Parteiführung, darunter Honecker und Mielke, über die Einbürgerungen Bescheid wußten. Die Aufnahme der Personen hätte „zu den bestgehütetsten Geheimnissen in der DDR gehört“, sagte Stahl, nur wenige MfS-Leute hätten davon gewußt. Die Einbürgerung sei „sehr aufwendig“ gewesen. Wenn Enttarnung gedroht habe, seien Wohnort und Arbeitsplatz gewechselt worden, bei Viett einmal auch der Deckname. Die Aufnahme der „Verhandlungen“ mit den DDR-Behörden soll nach den widersprüchlichen Angaben der RAF-Aussteiger von „aktiven RAF-Mitgliedern“, aber auch auf Vermittlung der PLO vorbereitet worden sein.
Das Fernsehmagazin „Stern TV“ hatte im Juli einen führenden früheren Stasi-Offizier zu Wort kommen lassen, der behauptete: „Bevor 1980 die mutmaßlichen Terroristen bei uns Unterschlupf fanden, gab es höchst geheim gehaltene Absprachen zwischen Vertretern der Bundesregierung und der DDR-Führung.“ Der Stasi-Zeuge weiter: „Der Bundesnachrichtendienst beziehungsweise geeignete Stellen des BND waren von Anfang an in die Absprachen eingeweiht“.
Die DDR habe auch rechtsradikale Terroristen beherbergt, sagte Stahl. Der 1987 wegen versuchten Mordes verurteilte Odfried Hepp habe ausgesagt, nach seiner Flucht in die DDR Anfang 1983 das Angebot erhalten zu haben, dort ein bürgerliches Leben zu führen. Nachdem er es abgelehnt habe, sei er von Stasi-Mitarbeitern mit einer Legende, falschen Ausweispapieren und 10.000 D-Mark in bar ausgerüstet worden.
Stahl setzte große Hoffnung in den Umstand, daß die RAF-Aussteiger von der bisherigen Praxis der Aussageverweigerung abgegangen seien. „Daß läßt Rückwirkungen auf die anderen Terroristen erwarten.“ Von einer „mit Augenmaß gehandhabten Anwendung der Kronzeugenregelung“ könnte seiner Ansicht nach Signalwirkung auf aktive Täter ausgehen. Die weitgehende Aufklärung dieser Straftaten führe „zu einer Stärkung der Autorität des demokratischen Rechtsstaates“. Erwin Single
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen