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Was fehlt

„Zur Sache selbst: Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts“ — eine Ausstellung in Wiesbaden  ■ Von Martina Kirfel

Gut gemeint aber verfehlt ist das Ausstellungsprojekt „Künstlerinnen des 20.Jahrhunderts“ des Museums Wiesbaden (in Zusammenarbeit mit der Hochschule Kassel). Absicht ist, der notorischen Unterrepräsentation der Kunst von Frauen entgegenzuwirken. Doch eine Gesamtschau der kunstschaffenden Frauen unseres Jahrhunderts auf internationaler Ebene in so kleinem Rahmen schadet der Sache und dem Projekt mehr als es nützt. Ähnliche Überblicksschauen wurden bisher immer von großen Häusern durchgeführt. Der Kunst von Frauen gegenüber ist man da nicht so zimperlich. Die Veranstalter beanspruchen sogar, fast alle wichtigen Gattungen einzubeziehen: Malerei, Plastik und Objektkunst, Fotografie, Performance und Video.

Die Säle und kleinen Kabinette sind jeweils einer oder mehreren KünstlerInnen gewidmet. Mit Werken von 16 Frauen, die in den ersten Dekaden des Jahrhunderts arbeiteten, werden die großen Stationen der „klassischen Moderne“ aufgezeigt. Das Jahrhundert eröffnen die russischen Konstruktivistinnen Alexandra Exter, Ljubow Popowa, Warwara Stepanows und Natalja Gontscharowa mit ihren leuchtenden Farbkompositionen, ihren Kostüm- und Bühnenentwürfen. Leider sind hauptsächlich naive, an der russischen Volkskunst orientierte Bilder von Natalja Gontscharowa zu sehen; ihre kubo-futuristische und ihre rayonnistische Phase wurden vernachlässigt.

Zwei weitere Kabinette zeigen Bilder der deutschen Zeitgenossinnen Gabriele Münter und Paula-Modersohn-Becker. Vor allem das Werk Gabriele Münters hätte man sich breiter dokumentiert gewünscht, wie so oft wurde ihr Spätwerk, also die Zeit, in der sie nicht mehr mit Wassily Kandinsky zusammenarbeitete, schlicht unterschlagen.

Den Dadaismus vertreten Hannah Hösch und Ella Bergmann-Michel mit ihren witzig-intelligenten Collagen. Dazu gehörte eigentlich das berühmte Déjeuner en fourrure von Meret Oppenheim von 1936, doch in ihrem Fall konzentrierten sich die Veranstalter seltsamerweise auf das Spätwerk. Das umgekehrte Schicksal ereilte Sonja-Delaunay-Terk. Nur drei ihrer Frühwerke sind zu sehen; es fehlen ihre Textilkunst und ihre Modeschöpfungen, mit denen sie zeitweise Robert Delaunay ernährte, sowie ihr gesamtes Spätwerk.

Die zweite Hälfte des Jahrhunderts ist mit 42 Künstlerinnen fast dreimal so stark vertreten wie die erste. Auch hier werden die großen und kleinen Stationen skizziert: So dokumentieren etwa Jo Baers Minimal Art und Helen Frankenthalers und Lee Krasners abstrakter Expressionismus den Weg der gegenstandslosen Malerei bis hin zu Agnes Martins weißmonochromen Monumentalbildern oder Mechtild Fritschs großformatigen perforierten und mit Farbe eingestrichenen Kartons. Gezeigt werden auch die schwarzen Boxen der Objektkünstlerinnen Louise Nevelson, Monika Brandmeiers rätselvolle Materialkombinationen und Rebecca Horns Hahnenfederskulptur. Daneben Plastiken, Fotografien, Performance-Dokumentationen und — mit starkem Akzent — Videokunst, auf die sich KünstlerInnen von Anfang an besonders konzentrierten. Die Suche nach einer neuen weiblichen Zeichensprache seit den siebziger Jahren dokumentierten Friederike Pezolds meditative Ikonen der Schwarz-weißen Göttin und die ironische Arbeit Herkules-Herakles-King-Kong. Die Vorbilder der Mannsbilder von Ulrike Rosenbach. Aus der gleichen Zeit stammen Valie Exports Fotocollagen typisch „weiblicher“ Posen, eine Pieta auf der Waschmaschine zum Beispiel. Für die neuere Videokunst steht Marie-Jo Lafontaines perfektionistische Videoskulptur A las cinque de la tarde. Bilder von Flamenco und Corrida verschmelzen zu pseudo-dramatischen Sequenzen über Eros und Tod, die über das Niveau kommerzieller Clips kaum hinausgehen.

Sicher — wo 245 Werke von 58Künstlerinnen ausgestellt sind, da läßt sich manches entdecken. Doch die Reise durch unser Jahrhundert wird erheblich erschwert, denn man muß permanent zwischen den Dekaden hin und herspringen; es gibt weder eine chronologische, geschweige denn eine thematische Ordnung. Dieses additive Prinzip ist verheerend, macht es deutlich, daß jedes inhaltliche Konzept fehlt. Warum wurden die großen Einzelgängerinnen Frida Kahlo und Niki de Saint-Phalle schlicht ausgelassen? Warum fehlt Barbara Heinischs expressive Körpermalerei, warum Anna Oppermanns Raumgestaltungen?

Warum war es nicht möglich, innerhalb der Auswahl stärker zu gewichten? Statt dessen unterliefen — zugunsten eines undifferenzierten Sammelsuriums — katastrophale Verkürzungen. Auch hätte man sich gewünscht, etwas häufiger ein Hauptwerk der ein oder anderen Künstlerin anzutreffen, handelt es sich doch um eine Überblicksausstellung, nicht um eine Schau vergessener Nebenwerke.

Der Katalog verwirrt durch fehlende Numerierung der Exponate und durch zahlreiche Abbildungen von Kunstwerken, die auf dieser Ausstellung gar nicht zu sehen sind. Auch fragt man sich, durch welchen Irrtum der Beitrag von Rolf-Gunter Dienst über amerikanische Kunst in den Katalog hineingelangte, denn er handelt ausschließlich von der Kunst amerikanischer Männer.

Die Ausstellung führt zu keinerlei neuen Erkenntnissen: eine verpaßte Chance. Warum zum Beispiel erfährt man nicht, was gerade mit den Frauen des Konstruktivismus unter Stalin geschah, warum nichts über Künstlerinnen im Faschismus? Auch wurde keinerlei Versuch unternommen, die Veränderung der Situation von kunstschaffenden Frauen im Verlauf des 20.Jahrhunderts nachzuzeichnen. Es erlebte mit den emanzipierten russischen Konstruktivistinnen einen gloriosen Auftakt. Im übrigen Europa ging es weit weniger aufgeklärt zu. Frauen hatten kaum Zutritt zu den Akademien, und im privaten Bereich wurden sie durch traditionelle Rollenvorstellungen geknebelt. So verlangte zum Beispiel Max Beckmann von seiner Frau Minna Tube, die Malerei aufzugeben und „ihr Talent ganz in seine Arbeiten hineinzulegen“. Max Ernst übermalte schlicht die Bilder seiner Frau Eleonora Carrington, wenn ihm die Leinwand ausging. Robert Delaunay und Hans Arp ließen ihre ebenfalls malenden Frauen zeitweise für den Lebensunterhalt sorgen, damit sie sich auf ihre Kunst konzentrieren konnten.

Seit den fünfziger und erst recht seit den siebziger Jahren ist vieles anders geworden. Kein Ehemann konfisziert Ulrike Rosenbachs Kamera und keiner übermalt Maria Lassnigs Farbflächen. Dennoch ist, so erfährt man — leider nur ansatzweise — im Katalog, die Situation von Künsterlinnen in der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts trotz gleicher Ausbildungschancen nicht unbedingt einfacher geworden. Dies erbrachten erste Ergebnisse der Untersuchung der Kasseler Hochschule, die an dem Wiesbadener Projekt mitbeteiligt ist. Das Werk von Künstlerinnen ist in den großen Überblicksausstellungen, in öffentlichen Sammlungen und in der Kunstgeschichtsschreibung immer noch hoffnungslos unterrepräsentiert. Im aktuellen Funkkolleg zur Moderne etwa sind 173 Künstler, aber nur sechs Künstlerinnen vertreten.

Ein Mißstand, der durch Projekte wie das in Wiesbaden nicht aufgehoben wird. Dazu ist es zu beliebig. Die Kunst von Frauen braucht mehr Einzelausstellungen, mehr thematische Ausstellungen und vor allem eine adäquate Repräsentation in Projekten, die nicht „geschlechtsspezifisch“ sind. Was spricht überhaupt dafür, die Kunstwerke von Frauen dieses Jahrhunderts von denen der Männer zu trennen, entstanden sie doch oft in engster Zusammenarbeit, in wechselseitiger Auseinandersetzung mit den gleichen ästhetischen Problemen und im gleichen historischen Kontext? — Selbst den programmatischen Werken feministischer Künstlerinnen nähme man den Stachel, wollte man sie auf immer im Ghetto „geschlechtsspezifischer“ Veranstaltungen isolieren.

Museum Wiesbaden, Friedrich- Ebert-Allee 2. Noch bis zum 25. November. Der Katalog hat 399 Seiten und kostet 48 DM.

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