piwik no script img

Ausbruch im Do-it-yourself-Verfahren

■ Marseiller Gruppe verschickt Knast-Bauzeichnungen

Paris (taz) — Seit einigen Tagen bekommen die Anwohner der Marseiller Gefängnisses ein praktisches Do-it-yourself-Paket zugestellt. Direkt ins Haus und ohne weitere Verpflichtungen. Inhalt der Sendung: detaillierte Pläne der Haftanstalten nebst Hinweisen über den Verlauf von Abwässer- und Elektroleitungen, Belüftungsschächten, nicht zu vergessen eine umfangreiche Abhandlung über das Sicherheitssystem der Anstalt, die Stärke von Wänden, Türen und Glasscheiben — kurz: alles, was es zu einer erfolgreichen Resozialisierung von Gefangenen so braucht.

Absender des Pakets ist eine Gruppe „Os Cangaceiros“, die in einem Begleitbrief Aufklärung gibt: „Wir hoffen lebhaft, daß [unsere Sendung] den Gefangenen helfen kann, die mit einem Ausbruch liebäugeln. Besonders die Insassen des Isolationstrakts, die Schwierigkeiten haben, sich auf dem Gefängnisgelände zu orientieren. [...] Wir möchten Sie einladen, die Dokumentation möglichst weit zu verbreiten. Mit vorzüglicher Hochachtung [...]“

Nach Angaben der Justizbehörden handelt es sich bei den Plänen um technische Zeichnungen von Knastneubauten, die anläßlich des öffentlichen Baugenehmigungsverfahrens aus diversen Rathäusern verschwunden waren. Mit dem Auftauchen anderer, noch präziserer Dokumente müsse gerechnet werden, so ein Magistrat gegenüber dem 'Figaro‘, weil auch bei beauftragten Baufirmen Einbrüche festgestellt worden seien. „Os Cangaceiros“ hat seit 1985 verschiedene Attentate gegen Hafteinrichtungen verübt. Unter anderem, so die Gruppe, sei bei bei Neubauten Zucker (ein Kilogramm auf eine Tonne Beton) in die Betonmischer gekippt worden, um die Gefängnismauern spröder zu machen.

Die Pariser Regierung ist dabei, ein umfangreiches Knast-Neubauprogramm durchzuführen. Die katastrophale Überbelegung der französischen Knäste führt nicht allein regelmäßig zu Häftlingsrevolten, sondern — auch ohne das Do-it- yourself-Paket von „Os Cangaceiros“ — zu spektakulären Ausbrüchen und Ausbruchsversuchen. Erst am Montag vergangener Wochen ließen sich vier Gefangene per Hubschrauber vom Dach der Anstalt Lannemezan (Pyrenäen) abholen und in Richtung Spanien ausfliegen. smo

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen