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»Den Grand Canyon kennen Sie nicht?«

■ Großstadtbummeln im »Forum Steglitz« und Schokoladebechern im »Bistro«

Bei strahlendem Novemberwetter haben Madame Christophe und ich uns zu einem Bad in der Menge entschlossen, will sagen: zu einem Einkaufsbummel in der Steglitzer Schloßstraße. Von weitem sehe ich sie schon unruhig auf und ab gehen, auf ihren Bambusstock gestützt; ich mache einen kleinen Slalomlauf durch den Verkehr, ängstlich, daß sich ihre eventuelle Ungeduld vergrößern könne, hoffnungsvoll, daß sich ihr Gesicht wieder aufhellen möge, wenn sie mich in der Menge ausmacht.

Es überrascht mich nicht, daß es sie als erstes zu »Brenninkmeyer« zieht, sonst als »C&A« bekannt; die familiäre Verwendung des Namens reicht zurück in die sechziger Jahre, als dort ihr Jüngster im schmucken Anzug die Lehre als Verkäufer begann; so bleibt das irgendwie innige Verhältnis zu diesem Kaufhaus bis heute unumschränkt. Am liebsten würde sie mir sofort eine ockergelbe Polyesterbluse aufschwatzen. Dafür kann ich ihre Aufmerksamkeit auf die Wollhose, die sie sich kaufen wollte, lenken, verbringe die nächste Stunde vor ihrer Umkleidekabine, um Wache zu schieben auf ihren dringenden Befehl, da man uns sonst berauben könne.

Nach dem Kauf der Nadelstreifenhose manövriere ich Madame nun etwas resoluter an den Verlockungen des Warenhauses vorbei zu ihrer Lieblingswurstbude, wo wir uns, vom Verkehr bedröhnt, eine »Lange« mit kalten Fritten zu Gemüte führen. »Laut ist es hier doch überall!« informiert sie mich und mault, als sich die Schlange von Junk-Food- Hungrigen nicht bewegt. »Hier stimmt doch etwas nicht!«

Die Großstadttauglichkeit und das allgemeine Durchsetzungsvermögen von Madame, ihre fulminante, beinahe wütende Energie sind, wie man merkt, im hohen Alter von 81 unvermindert geblieben. Schon in ihrer zartesten Jugend, als ihre Eltern noch das Lebensmittelgeschäft in Breslau hatten, schickte man sie zu den zahlreichen SchuldnerInnen, um das Geld einzutreiben, »und ich kam nie mit leeren Händen zurück«.

Wir gelangen nun ins »Forum Steglitz«, diesem Vorstadtimitat eines texanischen »shopping mall«, und gehen ins dortige »Bistro Café«; Madame nur unwillig, da sie den dort angewendeten »Kännchen-Trick« nicht billigt. Das heißt, man kann keine einfache Tasse bekommen, sondern muß gleich infame sechs Mark für ein Kännchen bezahlen. Vernünftigerweise nimmt sie einen Becher Schokolade. Wir fühlen uns recht wohl jetzt, der Ärger über die Kännchengeschichte scheint verflogen; die Serviererinnen gefallen Madame, erregen ihren Beifall mit ihren schlanken Figuren in den gestärkten weißen Schürzen. Nachdem wir einige Minuten in unserer Sitzecke aus taubengrauem Plüsch verweilt haben, nähert sich eine »ältere Dame« unserem Tisch: »Stört es Sie, wenn ich mich zu Ihnen setze?« fragt sie höflich. »Aber nein, das stört uns nicht!« erwidert Madame energisch, »gar nicht, gar nicht!«

Es wundert mich wenig, als sich zwischen den beiden augenblicklich das angeregteste Gespräch entfaltet, da ich von gelegentlichen Ausflügen mit Madame weiß, daß sie in einem beinahe ununterbrochenen Dialog mit ihrer Umwelt zu stehen pflegt. Lob und Tadel über den Fluß der Ereignisse, über verspätete Busse, unverschämte Ober, possierliche Vertreter der Tierwelt, immer mit dem vertraulichen Charme an die Allgemeinheit gerichtet.

Jetzt findet ihre Klage über die Berliner Wohnungsnot ein schnelles Echo: »Oh ja, meine Enkelin sucht auch«, hakt die Unbekannte ein, »aber wissen Sie, im Osten lassen die Brüder und Schwestern die Wohnungen leerstehen, weil sie hier mit Saus und Braus Einzug halten wollen! Zum Arbeiten haben sie dann aber auch keine Lust!«

»Ich muß Ihnen sagen«, entgegnet Madame, »ich erkenne die gleich, die Ostler, so am ganzen Benehmen! Also, als wir eben am Imbiß angestanden haben, was meinen Sie, da hat doch einer gedrückt und gedrängelt hinter mir! Das kann doch auch nur...«

»Aber selbstredend! So geht das, erst wird schön gedrängelt, und dann heißt es ran ans Portemonnaie! Das kennen wir, erst waren es hauptsächlich die Polen, aber die brauchen ja jetzt ein Visum.«

Ich beginne mich etwas desolat zu fühlen. Ich fürchte, Madame ist nicht allzu flexibel in ihren »Meinungen«; im Versuch, diese einträchtige Tirade zu ertragen, rufe ich mir ins Gedächtnis, daß Madames Taten selten von der Borniertheit ihrer Worte zeugen.

Aber ich bin ohnehin erlöst: »Wie, den Grand Canyon kennen Sie nicht?« Offenbar hat das Tischgespräch eine Wendung nach Arizona genommen, wohin Madames Ältester einst emigriert ist, der repariert da importierte Porsches. Erfrischt machen wir uns wieder auf, um die verbliebenen Kaufhäuser am Walther-Schreiber-Platz zu bewältigen, und den müden Verkäuferinnen eine letzte Nervenprobe vor dem Feierabend zu bereiten; Madame ist zuweilen recht ansprüchlich, und ich, wie sie sagt, »schwierig«. Doch da ihre Beine mit der verbalen Energie nicht ganz mithalten, trennen wir uns bald an der Bushaltestelle. »Der 48er läßt wieder auf sich warten!« brummt sie noch. Doris Bunch

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