Chaos in der Abfallwirtschaft

„Umwelt-Weise“ fürchten Verschärfung der Müllkrise/ Mittelfristig Wende mit Stoffverboten, Verteuerung der Müllbeseitung und umweltfreundlicher Produktion/ Vorrang von Vermeidung und Verwertung vor Beseitigung  ■ Von Gerd Rosenkranz

Berlin (taz) — Selbst unter günstigsten Voraussetzungen wird der Müllberg in der alten Bundesrepublik noch über viele Jahre höher und giftiger. Die „häßliche Kehrseite des allgemeinen Wohlstands“ werden wir so schnell nicht los. Das ist Ausgangspunkt und Ergebnis des Sondergutachtens „Abfallwirtschaft“, das der „Rat der Sachverständigen für Umweltfragen“ gestern der Bundesregierung in Bonn übergab.

Die sich verschärfende Krisensituation ist nach Ansicht der „Umwelt-Weisen“ Ergebnis eines jahrzehntelangen unbekümmerten Umgangs mit dem wachsenden Müllberg. Das Gesamtabfallaufkommen liegt seit Anfang der achtziger Jahre bei jährlich 250 Millionen Tonnen, die Hausmüllflut — gegenwärtig etwa 30 Mio. Tonnen pro Jahr — nimmt weiter zu. Als besonders problematisch bezeichnen die Müllexperten die im Bereich der „produktionsspezifischen Abfälle“ (etwa 35 Mio. Tonnen) anfallenden 11 Mio. Tonnen Sonderabfälle.

Die Sachverständigen bescheinigen der bundesdeutschen Wohlstandsgesellschaft eine horrende Diskrepanz „zwischen einer hochentwickelten, wohlgeordneten Versorgungswirtschaft und einer weithin unterentwickelten, durch Unordnung und Zufälligkeit bestimmten Entsorgungswirtschaft“. Deshalb gehe es künftig darum, die „Entsorgung von Abfällen gleichrangig in die wirtschaftlichen Entscheidungen“ einzubeziehen.

Vehement wehren sich die „Umwelt-Weisen“ gegen eine Fortsetzung des „Abfalltourismus“ in die Dritte Welt und nach Osteuropa. Vielmehr komme es darauf an, dem bisher eher proklamierten denn praktizierten „Vorrang von Vermeidung und Verwertung von Abfällen tatsächlich zum Durchbruch zu verhelfen“. Dazu werden als ordnungsrechtliche Instrumente Stoffverbote (etwa von Cadmium in Verbindung mit PVC-Produkten und PVC als Verpackungsmaterial) und Rücknahmepflichten von Produkten (zum Beispiel Autos) vorgeschlagen. Als ökonomisches Instrument schlagen die Müllexperten vorrangig die „grundsätzliche Erhöhung der Beseitigungskosten“ vor.

Das gegenwärtige Abfallrecht sei unzureichend und zeichne sich durch „erhebliche Disharmonien, Überschneidungen und Kompetenzkonflikte“ aus. Das Chaos schützt vor Lücken nicht: So gebe es zwar jede Menge rechtlicher Regelungen zur Vermeidung und Verwertung von Abfällen aus der Produktion, was jedoch mit den „verbrauchten Konsumgütern“ (also dem ausrangierten Schrott) geschehe, sei nirgends geregelt.

Künftig wünschen sich die Autoren des 1.300-Seiten-Gutachtens, daß die „abfallwirtschaftlichen Auswirkungen“ bestimmter Produktionsentscheidungen von Anfang an berücksichtigt werden. Als Beispiele nennen sie die „recyclingorientierte Gestaltung technischer Produkte“ und das „Modell der Rückbildung der Chlorchemie“.

Die umstrittene Müllverbrennung dürfe keinesfalls auf Kosten von Vermeidung und Verwertung forciert werden. Verbrannt werden dürfte allenfalls eine „nicht weiter verwertbare Restmüllfraktion“. Bezüglich der Dioxin-Emissionen schlägt der Sachverständigenrat vor, neben dem Grenzwert von 0,1 Nanogramm pro Kubikmeter Abgas auch eine Begrenzung der Gesamtemissionen aus allen Müllverbrennungsanlagen der Republik von weniger als 20 Gramm pro Jahr festzuschreiben.