: Die Marke der Überlebenden
■ Heute: »Lord Extra« — ein Film zur Atomare-Bedrohungs-Debatte JUGENDFREIEGLIMMERFILME
Wo andere den Urwald roden, da steht bei »Lord Extra« schon das Einkaufszentrum. Deine Zigarette kann nach Pavianscheiße, nach Indianertabak, Börsenkursen oder zur Not nach Zungenschlag schmecken, aber nur »Lord Extra« garantiert elektronisch simulierten Rauchgenuß. »Smoke Future!« heißt es denn auch, übermorgen stöpselst du dich an deinen Inhalationschip, der zufällig in einer »Lord Extra«-Packung steckte. Da Philip Morris die Kampagne mit der Zigarette aus dem All — außerirdische Rauchwaren greifen an — aufgegeben hat, bemüht sich jetzt nur noch »Lord Extra« um die Präsentation von »Rauchen 2000«. Wenn man sich nach dem atomaren Overkill erstmal eine anzündet, um zu entspannen, dann wird es eben eine »Lord Extra« sein. »Lord« — die Marke der Überlebenden — und viele sind es ja nun nicht. Maximal fünf Menschen, debile Eloys, die in ständiger Furcht vor den unterirdisch hausenden vertierten Fleischfressern (Morlocks) leben, ahmen willkürlich die überlieferten Verhaltensweisen einer untergegangenen Klasse nach. Frei nach dem amerikanischen Bestseller Rituals of the Rich (deutscher Titel: Geld und seine enormen Vorteile) von Andrew Suppermost, der dem Fahrstuhl als Statussymbol damals noch ein eigenes Kapitel einräumte.
Aber weder exzessives Fahrstuhlfahren noch Privatjet, Ferrari, Segeljacht oder die Deutsche Bundesbahn als hohle Fortbewegungspanzer der erstaunlich großporigen Herrenmenschen können darüberhinwegtäuschen, daß nicht besonders viel los ist. Das ist ja gerade der Trick bei der Sache! »Lord Extra«-Zigaretten gehen aus, wenn mehr als fünf Menschen versammelt sind. Insofern ist eine Schachtel »Lord Extra« 20 mal das kleinste Privileg seit Erfindung der Kontaktlinse (und vor Erfindung der Barmer). Nur wenn eine Zigarette jederzeit auch als Ferrarizündkerze einsetzbar ist, greift die BVG-Kundschaft zu, verschämt sicherlich, vielleicht ist man zu weit gegangen. Genau das ist aber die Tragödie unserer computergesteuerten Zigarette: Überschminkte Hausfrauen stellen sie bei ihren Tupperware- Parties dekorativ in Senfgläsern auf. »Lord« — nur eine Landadelzigarette auf futuristischen Vordermann gebracht? Fest steht, daß »Lord« nicht umsonst in der raucherfreundlichen, waschechten Welt der Trikolorefarben geraucht wird, von einem frankophilen Utopisten erdacht, der empfindlich in seiner analen Phase gestört wurde. Frankreich, Futur und Fahrstuhl — soviel ZuFall auf einmal kann es nicht geben. Deshalb gehört die Zukunft der geräuscharmen Zigarette. kolt
Der Kurzfilm »Lord Extra« (GB, 105sec.!) läuft in diversen Berliner Kinos.
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