Tour d‘Europe

■ „Nach Ihnen, Herr Kollege“

Vor Höflichkeit überschlagen sich derzeit der niederländische Premierminister Ruud Lubbers und der belgische Premierminister Wilfried Martens. Die beiden Konservativen bauen den jeweils anderen zum Nachfolgekandidaten von Jacques Delors an der Spitze der EG-Kommission auf. Martens sei „ein wunderbarer Kandidat“ — meint der Niederländer. „Lubbers Kandidatur würde ich unterstützen“ — meint der Belgier. Mit im Kandidatenkarussell sitzen bereits der sozialistische spanische Regierungschef Felipe Gonzalez und der deutsche Binnenmarktkommissar Martin Bangemann. Bis 1992 werden ganz sicher noch weitere Herren — vielleicht sogar Damen? — in innenpolitische Bedrängnisse geraten, die sie sehnsüchtig nach dem angesehenen Posten in Brüssel schielen lassen.

Ungleich verteilt sind die Vorteile, die bei der deutschen Vereinigung und der Öffnung Osteuropas herausspringen, stellte eine Gruppe von Wirtschaftswissenschaftlern des Londoner Zentrums für Wirtschaftspolitik fest. Vor allem in Deutschland wird die Nachfrage angekurbelt. Dadurch wird die D-Mark gegenüber den übrigen EG-Währungen stärker werden, was wiederum das Europäische Währungssystem destabilisieren könnte.

Ungeduldig warten angeblich auch 61 Prozent der EuropäerInnen auf die Einführung einer einheitlichen europäischen Währung. Das ergab eine EOS-Gallup-Meinungsumfrage unter 6.049 Menschen in den zwölf Mitgliedsländern. Was die Leute sich vom ECU versprechen, geht aus der Umfrage nicht hervor.

Draußen vor der Tür soll Österreich bleiben. Unbeirrt von der Bewegung im internationalen Gefüge rund um die Gemeinschaft, wollen die Brüsseler Bürokraten ihr Aufnahmeverfahren keinesfalls beschleunigen. Erst wollen sie das reiche Europa wirtschaftlich und politisch konsolidieren, und erst dann — nach Vollendung des Binnenmarktes — sollen weitere Verhandlungen mit der Alpenrepublik stattfinden, beschied Delors.

Auf Distanz will die EG auch alle übrigen annäherungswilligen Staaten halten. Gegenüber den sechs EFTA-Ländern (Schweiz, Finnland, Norwegen, Schweden, Island und Österreich) und Liechtenstein, die seit Juni ziemlich erfolglos mit der EG über einen Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) verhandeln, ist das besonders deutlich. Einerseits will die EG die Wirtschaftsfreiheiten des Binnenmarktes auf den gleich 19 Staaten umfassenden EWR ausdehnen, andererseits bekräftigten die EG-Außenminister am vergangenen Montag, daß den sieben Ländern kein Mitspracherecht über die Gesetzgebung der Gemeinschaft eingeräumt wird.

In Straßburg unterzeichneten in der vergangenen Woche die ersten zwölf Mitgliedsstaaten des Europarats, darunter auch die BRD, die Europäische Konvention gegen das Weißwaschen von Geldern aus Drogen- und anderen kriminellen Geschäften. Sie wollen die internationale Zusammenarbeit erleichtern, etwa durch das Aufheben des Bankgeheimnisses, das Einfrieren von Konten oder die Beschlagnahmung von Gütern. Die Sache hat jedoch von vornherein einen beachtlichen Haken: Die beiden Mitgliedsstaaten des Europarats mit der ausgeprägtesten Bankentradition, Luxemburg und die Schweiz, sind der Konvention aus „technischen Gründen“ noch nicht beigetreten. dora