Noch bist Du ein Verfassungsfeind...

Anachronistische Berufsverbotsprozesse in Bayern/ Verwaltungsgerichtshof mußte über Verfassungstreue von SPD-Mitgliedern entscheiden/ Richter hoben Ablehnungsbescheid auf  ■ Aus München Luitgard Koch

„Das nehme ich schon mit Genugtuung zur Kenntnis, daß ein weiterer Versuch der Staatsregierung, politisch Andersdenkende zu diskriminieren, zurückgewiesen wurde“. Der Münchner Anwalt, Gerd Tersteegen, freut sich über den Sieg vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (VGH). Gleichzeitig stellt er jedoch fest, „daß das eigentlich eine Selbstverständlichkeit ist“. Denn während in keinem anderen Bundesland mehr die Regierung hinter der Verfassungstreue ihrer Beamten herschnüffelt, kann's der bayerische Innenminister und CSU-Spürhund Edmund Stoiber einfach nicht lassen,den Radikalenerlaß anzuwenden. Selbst in Zeiten, in denen im Bonner Parlament PDSler sitzen und schwerbelasteten SED-Richtern, auch von der bayerischen Justizministerin und „Eisernen Lady“ Mathilde Berghofer-Weichner (CSU) ohne weiteres die Absolution erteilt wird. Jüngster Fall: Seit 1988 kämpfen die beiden Regensburger Rechtsreferendare Ralf Weinmann (29) und Christian Reissig (28) um ihre Übernahme ins Beamtenverhältnis. Beide waren in ihrer Studentenzeit Mitglieder des linksgerichteten, im bayerischen Verfassungschutzbericht registrierten Sozialistischen Hochschulbunds (SHB). Inzwischen sind sie aktive SPD-Mitglieder, Weinmann ist sogar stellvertretender Vorsitzender der Regensburger Jungsozialisten. Beide stehen „in vollem Umfang zum Grundsatz der Gewaltenteilung“ und können sich „eine sozialistische Demokratie“, wie sie als programmatisches Ziel des SHB erklärt wurde, „ohne Grundrechtskatalog nicht vorstellen“. Weinmann ist dieses Ziel des SHB, der Aufbau einer „sozialistischen Demokratie“ nur ein Synonym für „demokratischen Sozialismus“. Und dieses Ziel vertritt immerhin auch die nicht verbotene PDS. Außerdem stehen für ihn solche Begriffe im Einklang mit dem Godesberger Programm der SPD. Die Einstellungsbehörde, das Oberlandesgericht Nürnberg, konnte er damit nicht beeindrucken. Glasklar sah der Präsident des OLG, Wolfgang Schaffer, in den beiden eine Gefahr für den Rechtsstaat. Um dies zu beweisen, war ihm nichts zu aufwendig. Zum Schluß mußte ausgerechnet das „Kleine politische Wörterbuch“ der SED von 1973 herhalten. „Sozialistische Demokratie ist die politische Machtausübung der von der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei geführten werktätigen Massen des Volkes, die mit der Errichtung der Diktatur des Proletariats die formal-bürgerliche Demokratie ablöst“. Auch das Regensburger Verwaltungsgericht bestätigte dieses Urteil. Anwalt Tersteegen konnte das Zitieren aus der „SED-Bibel“ nur als „schlechten Witz“ bezeichnen. Außerdem erinnerte er an den Fall der früheren stellvertretenden JUSO-Vorsitzenden Beate Büttner, der ähnlich war. Auch ihr wollten die Herren der bayerischen Staatsregierung die Aufnahme in den Staatsdienst verweigern, weil sie als Studentin SHB-Mitglied war. Auch damals verpaßte der VGH, wie jetzt im Fall der beiden jungen Rechtsreferendare, dem Freistaat eine Watsch'n. Die Einstellungsbehörde, also das OLG Nürnberg, hätte sich mit den individuellen Einlassungen der Kläger mehr auseiandersetzen sollen, kritisierte das VHG und entschied „neu überprüfen“.