Im Altbau drohen Mieterhöhungen

■ Landgerichtsurteil: Mietspiegel ist unbrauchbar/ Mieterverein warnt, Bausenator beruhigt: Es handele sich nur um einen Einzelfall/ Doch der Hausbesitzerverband freut sich

Berlin. Gefahr droht allen Mietern der rund 400.000 Berliner Altbauwohnungen: Bei Mieterhöhungen kann künftig kräftiger zugelangt werden als bisher, wenn sich die 64. Kammer der hiesigen Landgerichts durchsetzt. Diese Kammer entschied im Oktober dieses Jahres, daß der Berliner Mietspiegel die ortsübliche Vergleichsmiete nicht zutreffend wiedergibt. Denn in den Mietspiegel fließen nur Mieten aus den Wohnungen ein, die vor 1949 errichtet wurden. Die tatsächlichen Mieten liegen aber, so das Landgericht, höher. Die 64. Kammer ist die Berufungsinstanz für die Amtsgerichte Neukölln und Spandau. Deren Vorsitzender Richter, Harald Kinne, veranstaltet übrigens gelegentlich — gut bezahlte — Fachseminare im Auftrag des Hausbesitzerverbandes und schreibt für die Verbandszeitschrift 'Grundeigentum‘.

Wenn sich diese Rechtsauffassung durchsetzt, warnte gestern der Berliner Mieterverein, werde der Mietspiegel nicht mehr vor Gericht als Beweismittel anerkannt. Dann können Vermieter jedes Jahr fünf Prozent auf jede Miete aufschlagen, während bislang eine Mieterhöhung nur dann verlangt werden kann, wenn die Miete die im Mietspiegel angegebene Vergleichsmiete nicht übersteigt. »Damit wären Mieterhöhungen auch bei bestehenden Mietverhältnissen Tür und Tor geöffnet«, sagte Vereinsgeschäftsführer Hartmann Vetter. Die Rechtsauffassung der 64. Kammer sei zudem »Unsinn«, so Vetter, denn Neubau- und Altbauwohnungen in einen Topf zu werfen, verstoße gegen das Miethöhegesetz.

Der Mieterverein fordert daher möglichst rasch einen Entscheid des Kammergerichts — der nächsthöheren Instanz — um Rechtssicherheit zu schaffen. Die Bundesregierung müsse endlich ein Mietspiegelgesetz entlassen, einen Entwurf gebe es bereits seit 1982. Mieter aus Neukölln oder Spandau sollten keine Berufung gegen Urteile ihrer Amtsgerichte — die den Mietspiegel anerkennen — riskieren.

Der Haus- und Grundeigentümerverein begrüßte hingegen das Urteil. Der Sprecher des Verbandes, Blümmel, nahm außerdem Richter Kinne gegen eventuell auftretende »Hintergedanken« in Schutz. »Sie sind auf dem falschen Dampfer, für uns schreiben fast alle Richter«, meinte Blümmel. Bausenator Nagel unter dessen Federführung der Mietspiegel 90 entstand, sagte, die Entscheidung der 64. Kammer betreffe einen Einzelfall ohne Bindung für andere Gerichte, die auch anders urteilen könnten. esch