: Dem Tierfilm zum Fraß
■ »Beyond Bengal« — ein dubioser Dokumentarfilm aus dem Jahr 1933
Am kommenden Donnerstag beginnt im »Checkpoint« das »Festival des geschmacklosen Films«, worunter sich Klassiker des Splatterfilms und Herrenfilme versammeln. Vorbereitet wird die Reihe mit einem filmhistorischen Exkurs ungewöhnlichster Sorte. »Beyond Bengal« gehört zum action- orientierten Ethnofilm, wie er zu seiner Entstehungszeit (1933) äußerst beliebt war. Weil die Tricks damals noch nicht so überzeugend waren wie heute, mußten eben andere Mittel und Wege gefunden werden...
»Beyond Bengal« tut formal so, als wäre er ein Dokumentarfilm: eine an Fußball oder Wochenschau erinnernde Kommentarstimme begleitet einen amerikanischen Forscher und Miss Baldwin, ebenfalls ein »bedeutendes Mitglied der wissenschaftlichen Welt«, auf eine Expedition in den bengalischen Dschungel. Die Forscher lassen sich von vielen einheimischen Helfern und Trägern, von 50 Elefanten und noch mehr Ochsen immer tiefer in den Urwald führen. Das Ziel dieses Unternehmens verbirgt sich dort, wo die beiden Bedeutungen von »Schuß« — aus Gewehr bzw. Kamera — ununterscheidbar werden; fast jeder der »Stars« (Leoparden, Tiger, Krokodile), der vors Objektiv getrieben wird, muß anschließend getötet werden. Mit dem Charme eines geschwätzigen Saufkumpels redet der Kommentator beständig auf das Publikum ein und sucht es, wann immer es die Musik zuläßt, weiter in den Bann seiner wahnsinnigen, mordlüsternen Logik zu zerren. »Boy! This is going to be good!« — und schon hat es wieder einen »Star« hingestreckt, der nach/für eine gelungene Nahaufnahme zum Tode verurteilt war. Zunächst wundert man sich noch, wie solche close-ups zur damaligen Zeit technisch zu realisieren waren, dann aber lüftet der Film freimütig, gar mit einem Anflug von »wissenschaftlichem« Stolz, das fast unglaubliche »Geheimnis« seiner Entstehung. Man hatte den Einheimischen einige Kameras übergeben, offensichtlich mit dem Auftrag, nach Möglichkeit ihren eigenen Tod zu filmen, oder, wenn das nicht möglich war, aus nächster Nähe den ihrer Kameraden. Zu diesem Zweck werden immer wieder verschiedenste Raubtiere unter irgendwelchen Vorwänden, die nicht einmal der fiktiven Logik dieses Dokumentarfilms folgen, aufgehetzt, damit »spannende« Kämpfe mit ungewissen Ausgängen stattfinden. So bekamen die Jäger zum Beispiel den Befehl, einen Fluß, in dem es von Krokodilen (»our stars villains«) nur so wimmelt, zu »reinigen«, damit die Expedition selbigen später überqueren könne. Nachdem einige, nur mit Speeren bewaffnete Bengalen gefressen, viele andere in Lebensgefahr gebracht und einige Krokodile auf authentisch-riskante Weise erlegt worden sind, begeben sich die weißen Forscher und die restliche Expedition ins Wasser. Das dann folgende Gemetzel wirkt wie ein einziger Kontrast zur archaisch- blutigen Exposition der Flußsequenz und entlarvt die »Begründung« des Kommentators als reine Blutrünstigkeit. Den Weißen mangelt es weder an Pistolen noch an Munition, um die Bedrohung von »1.000 hungry crocodiles« spielend abzuwehren.
Er erinnert an altrömische Gladiatorenkämpfe, wenn die »Forscher« aus sicherer Entfernung, meistens hinter ein paar Farnkräutern versteckt, immer die geladenen Flinten in der Hand, die inszenierten Todeskämpfe zwischen Tieren und Bengalen beobachten. Die weißen Schauspieler in »Beyond Bengal« agieren dabei vor allem als obligatorisches Bindeglied zum weißen Publikum im Kinosaal, dem ausschließlich zu Unterhaltungszwecken Szenen dargeboten werden, wie sie nicht einmal in unzensierten Horror-Videos zu sehen sind. Es handelt sich um real begangene Morde an Bengalen im Dienste der amerikanischen Dokumentarfilmindustrie, die sich in der Eröffnungssequenz sogar noch erdreistet, ausgerechnet diesem Volk den Film zu widmen!
Über die Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte von »Beyond Bengal« ist so gut wie nichts bekannt. Geht man jedoch davon aus, daß der Film irgendwann einmal als »normaler« Dokumentarfilm in amerikanischen Kinos gezeigt wurde, läßt dies Rückschlüsse auf eine extreme Form von Rassismus zu: für ein paar ungewöhnliche Tierbilder war den Produzenten das Leben von einigen Bengalen offenbar nicht zu schade. Die Perversion dieses Films gipfelt darin, daß die Morde vor laufender Kamera mit einer nonchalanten Selbstverständlichkeit kommentiert werden, während in dem Moment, als eine 2.000-Dollar-Kamera ins Wasser fällt, auf die Kosten des Films hingewiesen wird. Es ist zu vermuten, daß die Verantwortlichen von »Beyond Bengal«, die weder im Vor- noch im Abspann namentlich erwähnt werden, auf ein (noch) nicht sehr entwickeltes Differenzierungsvermögen der Kinobesucher zwischen den verschiedenen Filmrealitäten spekuliert haben. Die damals noch nicht etablierten Genre-Grenzen wurden in diesem Fall dazu mißbraucht, ein grausames Filmproduktionsexperiment in Gestalt eines Unterhaltungsfilms aus dem Dschungel zu präsentieren. Mit »Beyond Bengal« erinnert das Checkpoint-Kino an ein ganz übles Kapitel aus der Geschichte des Dokumentarfilms. Dorothee Wenner
»Beyond Bengal« läuft in der amerikanischen Originalfassung von So, 18.11. bis Do 22.11., täglich um 22.45 Uhr im Checkpoint, Leipziger Straße 55, Berlin 1080.
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