piwik no script img

„Das Grün-Rote ist nicht aufgebraucht“

■ Interview mit Grünen-Sprecher Christian Ströbele nach dem Ende der Berliner Koalition INTERVIEW

taz: Hat auch die Alternative Liste Fehler gemacht?

Christian Ströbele: Die AL hat Fehler gemacht, die AL hat aber in dieser Situation keine Fehler gemacht. Die AL hat sich bemüht, wenn auch sehr spät, Verhandlungen in Gang zu bringen. Wenn man ernsthaft gewollt hätte, hätte es eine Verhandlungslösung geben können. Vielleicht nicht innerhalb von Stunden oder Tagen.

Wäre es nicht Aufgabe der AL gewesen, lange bevor es brennt, den Kontakt zu dem Brennpunkt Mainzer Straße zu halten?

Die AL sieht ihre Aufgabe nicht darin, die Besetzer aller Häuser zu vertreten, sondern in einer Situation, wo es nicht mehr weiter geht, einzugreifen und Verhandlungen wieder in Gang zu bringen. Noch am Dienstag wurde doch gesagt, die Räumung der Häuser sei nicht geplant. Man mußte natürlich auch mit dem Problem des Barrikadenbaus umgehen, aber ich denke, da waren Lösungsmöglichkeiten.

Schon in den letzten Monaten ging der rot-grünen Koalition die Substanz aus. Ist eine westdeutsche Großstadt derzeit rot-grün nicht regierbar?

Das wäre ein falscher Schluß. Das Grün-Rote ist nicht aufgebraucht, auch in Berlin wäre es weiterhin sinnvoll und möglich. Das Problem ist, daß wir festgestellt haben, daß mit der SPD vieles nicht zu machen ist. Das muß aber nicht immer nur das Verschulden der SPD sein, sie muß auf ganz andere Wählerschichten Rücksicht nehmen als wir das tun wollen und müssen. Gerade jetzt beim Zusammenwachsen der beiden Hälften von Berlin wäre eine rot-grüne Politik dringend erforderlich. Und für das Umgehen mit den sozialen Konflikten, auch den leerstehenden Häusern, wäre es im Interesse aller besser, als wenn da eine harte Linie gefahren wird und Kewenig zurückkommt.

Also drei Wochen Wahlkampfpause für die rot-grüne Koalition — und dann am liebsten weiter?

Nein. Man muß feststellen, daß hier ein Punkt erreicht war, wo es nicht mehr weiter ging. Die Deeskalationslinie ist hinter unserem Rücken verlassen worden. Wir wollten in erster Linie politische Lösungen für solche schwierigen Situationen ins Auge fassen ...

...das SPD-Klientel verträgt offenbar keine durch Barrikaden abgesperrten Straßen...

Das ist nicht das Problem. Wenn man feststellt, da ist eine Barrikade, und die will man nicht haben, dann ist die Frage: Wie geht man damit um, holt man Truppen aus Westdeutschland oder unterhält man sich mit denen, die die Barrikaden gebaut haben und die sie noch weiter befestigen, ob es nicht eine Lösung gibt. Die gab es auch am Dienstag noch, wenn etwa versichert worden wäre, daß in den nächsten Wochen nicht geräumt wird und Verhandlungen geführt werden. Da hätte es viele Varianten gegeben. Das Schlimme ist auch nicht, daß es vielleicht nachher nicht anders gegangen wäre, sondern das Schlimme ist, daß man es nicht versucht hat, und das sollte anders sein.

Dann gibt es noch den formellen Punkt, daß wir in dieser wirklich brenzligen Situation nicht einmal informiert worden sind. Führende Leute beim Innensenat haben sich verleugnen lassen. Und dann von uns zu verlangen, dafür Verantwortung mit zu übernehmen, wo wir nicht mitregieren konnten, das geht nicht.

Ist das Mißtrauensvotum jetzt nicht ein symbolischer Affront, der die Chancen eines rot-grünen Bündnisses nach den Berliner Wahlen am 2.Dezember zerschlägt?

Das Mißtrauensvotum ist eine logische Konsequenz aus unserer Kritik an der Politik des Innensenats, und Momper hat die Verantwortung dafür übernommen.

Momper soll die letzten Tage der Legislaturperiode kommissarisch regieren?

Wie die Konsequenz ist, das hängt ja auch davon ab, wie die Abstimmung ausgeht. Das wissen wir noch nicht.

Diepgen könnte Momper retten...

Wie die CDU sich verhält, wissen wir nicht. Aber das Mißtrauensvotum heißt nicht, daß wir nicht nach dem 2.Dezember, wenn es eine rechnerische Möglichkeit gibt, mit der SPD reden wollen. Ich bin sogar der Meinung, daß die Verhandlungsposition der Alternativen Liste gestärkt ist. Jetzt sind wir einfach glaubwürdiger. Interview: Klaus Wolschner

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen