: Wird Margaret Thatcher heute Hinterbänklerin?
Die britischen Torys wählen heute die Parteiführung/ Michael Heseltine rechnet sich Chancen aus, die seit zehn Jahren herrschende Eiserne Lady zu stürzen/ Mißtrauen gegen Thatchers Widersacher an der Basis der britischen Konservativen ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck
Margaret Thatcher, die am Sonntag abend als britische Premierministerin zur KSZE-Konferenz nach Paris gefahren ist, muß die Rückreise am Mittwoch möglicherweise als Hinterbänklerin antreten. Letzte Umfragen unter den 372 Tory-Abgeordneten deuten darauf hin, daß Thatchers Herausforderer Michael Heseltine bei der heute stattfindenden Wahl der Parteiführung auf mehr als die erforderlichen 159 Stimmen kommen wird, um einen zweiten Wahlgang zu erzwingen. Nach einer solchen Demütigung wäre ein freiwilliger Rücktritt Thatchers angesagt. Doch die Premierministerin hat angedeutet, daß man sie mit Gewalt aus ihrem Sessel zerren müssen wird.
Ohnehin ist es unmöglich, zuverlässige Prognosen aufzustellen. Viele Torys erklärten in aller Offenheit, daß sie bis zum Schluß über ihre Wahlabsichten lügen würden. Lediglich der rechte Flügel der Thatcher-Anhänger macht kein Hehl aus seinen Intentionen: Unter Heseltine würden sie aus der Fraktion austreten und so Parlamentswahlen herbeiführen. Letztendlich hängt das Ergebnis vom taktischen Verhalten jener Abgeordneten ab, die Thatcher loswerden wollen, aber Heseltine auch ablehnen. Ihr Favorit, Außenminister Douglas Hurd, hat am Wochenende seine Bereitschaft signalisiert, beim zweiten Wahlgang zu kandidieren, falls die Premierministerin bis dahin zurückgetreten sei.
Heseltine hängt seit seinem Rücktritt als Verteidigungsminister im Januar 1986 wie ein Damoklesschwert über Thatcher. Seitdem wird er bei jeder Regierungskrise von der Presse sowie von unzufriedenen Torys als mögliche Alternative genannt. Der 57jährige hat den Angriff auf Thatcher jahrelang sorgfältig geplant. Sein Biograph Critchley behauptet gar, Heseltine habe ihm bereits 1954 gesagt, daß er 1990 Premierminister werde.
Heseltine stammt wie Labour- Führer Neil Kinnock aus Wales. Nach dem Wirtschaftsstudium in Oxford arbeitete er als wirtschaftsjuristischer Angestellter an der Börse. Seit 1966 gehört er dem britischen Unterhaus an. Bei der Wahl um die Tory-Führung 1975, als Thatcher gewann, stimmte Heseltine gegen sie. Dennoch machte sie ihn vier Jahre später in ihrem ersten Kabinett zum Energieminister. Ab 1983 war er Verteidigungsminister, bis er von diesem Posten zurücktrat, weil Thatcher dem Verkauf der britischen Rüstungsfirma Westland an den US- Konzern Sikorski zugestimmt hatte.
Heseltine gilt als der reichste britische Politiker. Sein Privatvermögen, das er zunächst durch Immobiliengeschäfte und später durch die Haymarket-Verlagsgruppe zusammengetragen hat, wird auf 60 Mio. Pfund (ca. 175 Mio. DM) geschätzt. Seine Kritiker werfen ihm Hitzköpfigkeit vor und führen als Beispiel einen Vorfall aus dem Jahr 1976 an: Damals ging Heseltine in einem Wutanfall mit schwingendem Amtsstab auf linke Labour-Abgeordnete los, die im Unterhaus „Die rote Fahne“ gesungen hatten. In seiner Partei wird er dem „liberalen Flügel“ zugerechnet. Seine Wahl wäre das Ende des Thatcherismus; dessen Grundpfeiler stürzen mit der Person der Premierministerin. Weder Hurd und schon gar nicht Heseltine würden diese Politik fortsetzen. Heseltine hat in der vergangenen Woche seinen Kurs definiert: Er ist für ein vereintes Europa und die Währungsunion, tritt für die Unabhängigkeit der Bank of England nach Vorbild der Bundesbank ein und lehnt die Todesstrafe ab. Vor allem will er die umstrittene Kopfsteuer überdenken, die zu Thatchers Popularitätsverlust entscheidend beigetragen hat.
Heseltines Programm scheint Erfolg zu haben: Obwohl das Mißtrauen gegen ihn innerhalb seiner eigenen Partei weit verbreitet ist, würden die Torys mit Heseltine an der Spitze laut Meinungsumfragen schlagartig zehn Prozent vor der Labour Party liegen.
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