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Dabeisein ist alles

■ Das KSZE-Treffen fand keine Antwort auf die Auflösung des Warschauer Paktes KOMMENTARE

Das Motto des Pariser KSZE-Gipfels hätte das der Olympischen Spiele sein können: Dabeisein ist alles! Nicht die Diskussionen waren in Paris das Entscheidende, das eigentliche Ereignis war das Treffen selbst. Ursprünglich wollten die 34 Staats- und Regierungschefs zwei Schwerpunkte behandeln: die konventionelle Abrüstung in Europa und die deutsche Vereinigung. Beides war bereits erledigt. Die Ergebnisse der 2+4-Verhandlungen hatten die Außenminister der KSZE- Staaten bereits Anfang Oktober in New York wohlwollend zur Kenntnis genommen, und das VKSE- Abkommen konnte vor dem eigentlichen Beginn des Gipfels unterschrieben werden.

Damit hätte das Treffen in Paris eine in dieser Form wohl einmalige Chance gehabt: unbelastet von Konflikten um das Abschlußkommuniqué wäre hier eine vorwärtsweisende Diskussion möglich gewesen, hätte versucht werden können, Antworten auf die absehbaren Krisen in Ost- und Südosteuropa zu finden. Doch davon war in Paris nichts zu hören. Die sogenannte Institutionalisierung des KSZE-Prozesses spielte einfach keine Rolle. Zwar beklagte der tschechoslowakische Präsident Václav Havel in seiner Rede das Vakuum, welches der bis Ende des Jahres faktisch aufgelöste Warschauer Pakt in Zentral- und Osteuropa hinterläßt. Nicht daß die Ungarn, Tschechoslowaken oder Polen dem Warschauer Pakt nachtrauern — worauf sie gehofft hatten, war eine Antwort des Westens auf die Frage, ob die KSZE in Zukunft ebendieses Vakuum ausfüllen würde.

Aber weder Kohl noch Mitterrand und erst recht nicht Thatcher oder Bush waren willens oder in der Lage, sich dem Problem auch nur im Ansatz zu stellen. Während Gorbatschow darauf drängte, dem jetzt einzurichtenden Konfliktvermeidungszentrum in Wien eine klar umrissene Funktion zu geben, die mittelfristig dazu führt, daraus einen mit entsprechenden Kompetenzen ausgestatteten europäischen Sicherheitsrat zu entwickeln, war Bush ausschließlich damit beschäftigt, die Anti-Hussein-Allianz zu stabilisieren. Das hatte nicht nur damit zu tun, daß dies im Moment eben sein drängenderes Problem ist. Der entscheidende Grund ist, daß die westlichen Führungsmächte alles vermeiden, was die Zukunft der Nato in Frage stellt. Man verständigte sich lediglich auf flaue Allgemeinplätze, nach denen die Nato auch als zukünftiger Träger europäischer Sicherheit eine wichtige Rolle spielen soll. Wenn man sich aber fragt, welche europäische Institution in der Lage sein könnte, in sich zuspitzende Nationalitätenkonflikte und politische Krisen in Osteuropa schlichtend einzugreifen, so findet man im Abschlußkommuniqué keine Antwort. Dafür gibt es zwei mögliche Erklärungen: Die Entwicklung in Osteuropa ging einfach zu schnell vonstatten, um bereits jetzt ein Konzept gesamteuropäischer Sicherheit vorzulegen. Die zweite Möglichkeit ist der Versuch, das Heil in den bestehenden Strukturen zu suchen, statt ein neues gesamteuropäisches Sicherheitssystem gemeinsam zu entwicklen.

In Budapest und Prag wird bereits darüber nachgedacht, sogenannte Assoziierungsverträge mit der Nato abzuschließen. Angesichts solcher Signale gewinnt die Zurückhaltung in Washington, Paris und Bonn an Plausibilität. Je drängender die Probleme im einstigen Einflußbereich des Warschauer Paktes werden, um so eher kann die Nato aus ihrer derzeitigen Legitimationskrise gestärkt hervorgehen. Jürgen Gottschlich

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