Muskelspiele im Hohen Haus

■ Weiter Zoff zwischen SPD und AL/ CDU vermeidet Koalitionsabsage

Rathaus Schöneberg. Vertreter aller Rathausparteien nutzten die gestrige Sondersitzung des Abgeordnetenhauses, um in der heißen Wahlkampfphase die Muskeln spielen zu lassen. Gut eine Woche vor den Wahlen warfen sich die Parteien gegenseitig politisches Versagen vor — vor allem hinsichtlich der Auseinandersetzungen in der Mainzer Straße. Der Regierende Bürgermeister Walter Momper nutzte die Gunst der Stunde und hielt eine Regierungserklärung. Momper forderte zwar zunächst dazu auf, nach friedlichen Lösungen zu ringen und zu versuchen, Konflikte zu deeskalieren. Er zeigte sich aber entschlossen, »hemmungslose Gewalt und die Bereitschaft zum Töten« zu verfolgen, zu ahnden und zu ächten. Denn: »Die Ausschreitungen waren keine Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Teilen der Bevölkerung, sondern Krieg der Gewalttäter gegen den Staat.« Er stellte sich noch einmal vor den massiven Polizeieinsatz und betonte, daß die Berliner Landesregierung strikt an der Berliner Linie festhalten werde.

Die Fraktionsvorsitzende der AL, Renate Künast, verteidigte den Austritt der AL aus der Koalition und warf der SPD vor, in der vergangenen Woche versagt zu haben, »weil die Polizei wieder zum Politikersatz gemacht wurde«. Angesichts der aussichtslosen Wohnungssituation »sind Hausbesetzungen legitim«, meinte Künast. Der Senat habe mit den Räumungen eine »neue Form der Kolonialpolitik« betrieben. Zum Koalitionsbruch sagte sie, ihre Partei habe die Regierung nicht verlassen: »Wir sind rausgeworfen worden.«

Während Momper auch scharfe Attacken gegen die CDU formulierte, wetterte SPD-Fraktionschef Ditmar Staffelt vor allem gegen den ehemaligen Koalitionspartner. Er warf der AL vor, die vereinbarten Grundpositionen »über Nacht« verlassen zu haben und wahltaktisches Kalkül über die Interessen der Stadt zu stellen. Die AL habe mit ihrem Austritt aus der Koalition die »Möglichlichkeit einer Zusammenarbeit mit der SPD nach dem 2. Dezember verschüttet«. Niemand solle glauben, so Staffelt, daß die SPD ein solches Handeln ohne Konsequenzen hinnehme und nach den Wahlen zur Tagesordnung übergehen werde.

Der CDU-Fraktionsvorsitzende, Eberhard Diepgen warf Momper unter anderem auch Handlungsunfähigkeit vor. Wegen des »gestörten Verhältnisses der AL zu Gewalt und Gewaltfreiheit« sei der Senat dafür verantwortlich, daß in der Stadt ein »erschreckendes Ausmaß an Gewalt« entstehen konnte. Dennoch grenzte er sich nicht sonderlich scharf gegen den Regierenden ab. Er forderte Momper lediglich zu einer »Kurskorrektur« auf. Das verstanden einige fast schon als Koalitionsangebot, zumal Diepgen eine eindeutige Koalitionsabsage vermied.

Die Westberliner Abgeordneten werden vor der Wahl noch einmal zusammenkommen. Am Montag nämlich müssen sie über einen Mißtrauensantrag gegen Bürgermeister Momper abstimmen. Den haben die »Republikaner« gestellt, und wohl nur sie selbst werden ihn unterstützen. Die CDU hat bereits angekündigt, an dieser Abstimmung nicht teilzunehmen. Thekla Dannenberg