Superdroge bringt das Euter auf Touren

Anfang nächster Woche soll das Rinderwachstumshormon r-BST EG-weit zugelassen werden/ In den USA wurde die Genehmigung verschoben/ Kritiker warnen: Wundersamer Segen der Gentechnologie könnte sich als „Teufelswerk“ erweisen  ■ Aus Brüssel Michael Bullard

„Muh“ schallt's von der Höh'. Glücklich bimmeln die Euter. Noch strotzt sie vor lila-blaßblauer Gesundheit, die majestätisch wiederkäuende Milka-Kuh. Doch bald schon wird sie schwitzend und kinderlos ihr wundes Euter lecken wollen, das dank der Superdroge „r-BST“ prall gefüllt ist. Ein regelmäßiger Schuß dieses Hyper-Rinderwachstumshormons wird genügen, das Kulttier in eine sterile Milchfabrik zu verwandeln, die den ohnehin ausufernden Milchseen und Butterbergen in der EG zu neuen Dimensionen verhilft. Was Alm- und anderen Milchbauern zur Zeit als wundersamer Segen der Gentechnologie angepriesen wird, könnte sich in Wahrheit als Teufelswerk erweisen, daß zu Kuhleiden und Massenpleiten führt. So zumindest sehen es die Kritiker des mit gentechnichen Mitteln gezüchteten Hormons Bovines Somatotropin (BST). Sie mobilisieren Widerstand, denn das in der EG geltende Moratorium für die Anwendung von r-BST soll Anfang nächster Woche unterlaufen werden.

Nicht nur der milchige Inbegriff gesunder Ernährung sei in Gefahr, warnt der Günzburger Tierarzt und Hormonexperte Hermann Abmayr: „Mit der Zulassung von r-BST als Leistungssteigerer würde das Signal gesetzt werden für die hormonelle Manipulation der Milch- und Fleischproduktion vieler landwirtschaftlicher Nutztierarten“. Denn Hormone wirken in tierischen und menschlichen Körpern wie Verkehrspolizisten, die den Stoffwechsel quasi mit der Trillerpfeife zu Action animieren oder ihm die Kelle zeigen, wenn es Zeit wird für das Mittagsschläfchen. Diese Stoffwechseldirigenten mit solchen abstoßenden Namen wie Neurotransmitter, Katecholamine, Glukokortikoide oder eben Bovines Somatotropin wollen sich die Gendoktoren zu nutze machen, um den „Produktionsprozeß an der Wurzel zu revolutionieren“.

Das r im BST steht für „gentechnisch rekombiniert“. Damit soll dem Euter Dampf gemacht werden. 1985 wiesen US-Wissenschaftler nach, daß eine Kuh bis zu 25 Prozent mehr Milch gibt, wenn ihr das Hormon regelmäßig gespritzt wird. Vor allem vier US-Firmen waren an der Entwicklung von r-BST maßgeblich beteiligt — Upjohn, American Cyanamid, Monsanto und Eli Lilly. Die beiden letzteren haben nach eigenen Angaben Millionen Dollar in die Entwicklung investiert und erwarten sich nach der Zulassung des Hormons Jahresumsätze von insgesamt einer Milliarde Dollar. Beide haben bei dem in der EG-Kommission angesiedelten „Ausschuß für Tierarzneimittel“ einen Antrag auf Zulassung ihrer Produkte gestellt. In dem Ausschuß sitzen beamtete Regierungsvertreter, die während ihrer Sitzung Anfang nächster Woche in Brüssel die Zulassung des Hormons genehmigen wollen.

Dies ist rein juristisch möglich, erklärte ein Mitarbeiter der EG-Behörde, würde jedoch zu der „absurden Situation“ führen, daß die Droge zwar zugelassen, ihre Anwendung aber verboten wäre. Denn der EG- Ministerrat hatte vor einem Jahr ein Moratorium für die Anwendung des Hormons beschlossen. Es läuft am 31. Dezember 1990 aus, soll aber um ein halbes Jahr verlängert werden. Die EG-Kommissare wollten ursprünglich am kommenden Montag im obersten EG-Gremium, dem Ministerrat, einen entsprechenden Antrag stellen. Doch der zuständige Landwirtschaftskommissar Ray MacSharry ist sich noch unsicher — wegen politischer Ambitionen im heimischen Irland: „Ich warte erst einmal ab, wie der Tierarzneimittel- Ausschuß entscheidet“, ließ er den Korrespondeten wissen. Denn angeblich hätten die beamteten Veterinäre kalte Füße bekommen und wollten die Entscheidung verschieben.

Grund dafür gäbe es genug, meint der Grüne Agrarexperte im Europaparlament, Hannes Lorenzen. Die wissenschaftlichen Studien, die dem Hormon Wirksamkeit, Qualität und gesundheitliche Unbedenklichkeit attestieren, seien unter Wissenschaftlern umstritten. Der Günzburger Arzt Abmayr hält sie für unzureichend, da sie nur auf Kurzzeitstudien basierten. Bei den Kühen wären häufig Euterentzündungen, Hitzekoller und Unfruchtbarkeit die Folge. Der US-Hormonwissenschaftler Samual Epstein ist sogar der Meinung, die Monsanto-Untersuchungen seien teilweise gefälscht.

Zweifel gibt es dann auch an der Unbefangenheit der Regierungsvertreter, die in dem Ausschuß für Tierarzneimittel über die Anträge der Industrie befinden. Völlig außerhalb öffentlicher Kontrolle agieren die Beamten, wenn sie nächste Woche mit ihrer wissenschaftlichen Entscheidung für die Zulassung des Hormons das Votum der politisch verantwortlichen Entscheidungsträger unterlaufen. Rechtzeitig vor den Gatt- Verhandlungen zum weltweiten Abbau von Handelshemmnissen Anfang Dezember in Brüssel geben sie damit den von Monanto beträngten US-Unterhändlern ein schlagkräftiges Argument an die Hand. Denn auch in den USA ist die Zulassung umstritten. Diese Woche verschob das US-Landwirtschaftsministerium die für Ende des Jahres erwartete Genehmigung bis mindestens 1992, weil angeblich noch wichtige Studien ausstehen. Würde nun die EG das Mittel zulassen, müßten auch die USA im Rahmen der Gatt-Abmachungen nachziehen.

Eine Genehmigung der Wunderdroge hätte auch Auswirkungen auf das von Bundestag und Bundesrat geforderte „Verbot der Produktion und des In-Verkehr-Bringens von gentechnologisch erzeugten leistungssteigernden Hormonen und Verbindungen“. Im Rahmen der Wettbewerbsregeln des Binnenmarkts müßte das Hormon dann auch in der Bundesrepublik zugelassen werden. Für die Drogengegner in Verbraucher, Umwelt-, Tierschutz- und Bauernverbänden eine bittere Erkenntnis, daß nur wenige Monate, nachdem sie im Bundestag ein Verbot durchgesetzt haben, das Doping- Mittel über die EG und Gatt doch zugelassen werden soll. Rückendeckung allerdings erhielten die Hormongegner letzte Woche — von ungewöhnlicher Seite: Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg bestätigte das 1981 vom Ministerrat erlassene allgemeine Verbot chemisch hergestellter Wachstumshormone gegen die Einwände der pharmazeutischen Industrie. In ihrer Urteilsbegründung weisen die Richter ausdrücklich darauf hin, daß für ein Verbot nicht nur gesundheitliche Risiken sondern auch soziale und wirtschaftliche Konsequenzen herangezogen werden können.

Die „Amtsanmaßung“ des Tierarzneimittel-Ausschusses stößt sogar innerhalb der EG-Kommission auf Mißmut, schließlich unterminiert das in der Abteilung Binnenmarkt der EG-Behörde angesiedelte Gremium direkt die Arbeit der Kollegen in der Generaldirektion Landwirtschaft. Die dort zuständigen Beamten möchten das Moratorium verlängern, weil die vom Europäischen Parlament (EP) und von Kommissar MacSharry angeforderten Studien zu den sozioökonomischen Auswirkungen des Hormons noch nicht vorliegen. Neben der chemischen Konsistenz des Hormons und seiner Auswirkungen auf die Gesundheit der Tiere sowie der Verbraucher hatte das EP auf Antrag der Grünen-Fraktion gefordert, daß die sozioökonomischen Folgen der Hormonverwendung überprüft werden müssen. Zur Begründung führten die Europaparlamentarier an, daß der Einsatz von r-BST nur bei großen Tierbeständen rentabel sei und deshalb zu einer Konzentration der Milchproduktion bei intensiv wirtschaftenden Großbetrieben mit entsprechend negativen Folgen für die kleineren Bauern führen würde. Weil die Untersuchung des sozioökonomischen Aspekts die Genehmigung des Hormons unendlich erschweren würde, bemühten die Vertreter der US-Chemie-Industrie sogar die Hilfe des US- Außenministeriums. In einem Brief vom 6. April 1990 forderte der US- Botschafter bei der EG, Thomas Niles, den Kommissionspräsidenten Jacques Delors auf, sich über den Beschluß der Europaparlamentarier hinwegzusetzen (s. taz vom 23.4. 1990). Nächste Woche wird sich zeigen, ob sich Delors von dem US- Cowboy in seinen Kuhstall hineinreden läßt.