Regierungsbildung auf schmaler Basis

Die Ministerien für Inneres, Verteidigung und Information bleiben dem neuen indischen Premiers Chandra Shekhar/ Rajiv Gandhi blieb der Amtseinsetzung fern/ Bauernführer Devi Lal Nummer zwei  ■ Aus Neu-Delhi Bernard Imhasly

Zwölf Tage nach seiner Regierungsübernahme hat Ministerpräsident Chandra Shekhar am Mittwoch dem indischen Präsidenten Venkataraman sein Kabinett präsentiert. Die Liste von 32 neuen Ministern ist das Resultat schwieriger Verhandlungen mit den Politikern und Fraktionen, die Chandra Shekhars Revolte gegen V.P. Singh unterstützt hatten und nun den Preis in Form von Ministerposten für sich oder ihre Getreuen forderten. Die schwere politische und wirtschaftliche Krise verlangte überdies fähige und erfahrene Persönlichkeiten, die aber in der schmalen personellen Basis seiner Partei nur schwer zu finden waren. Die Weigerung der Kongreß-Partei und ihrer kleinen Allianzparteien, ihre Regierungsunterstützung mit der Beschickung von Kabinettsposten zu koppeln, führte schließlich dazu, daß praktisch die Hälfte der Janata-Dal- Parlamentarier nun auch Minister geworden sind und daß die wichtige regionale Balance nicht gehalten werden konnte — über die Hälfte der Minister stammen nun aus den nördlichen Staaten Bihar und Uttar Pradesh, während die Südstaaten sowie der Nordwesten und Nordosten keine Vertreter im Kabinett haben.

Angesichts der politischen Schwäche der neuen Regierungspartei mußte Loyalität und Stimmkraft bei der Auswahl von Kandidaten schwerer wiegen als Integrität und Erfahrung. In der Öffentlichkeit, die diesem Spektakel seit Wochen mit wachsendem Zynismus zuschaut, war dies von vorneherein angenommen worden, und die Presse notierte mit Erleichterung, daß die neuen Minister für Äußeres und Finanzen zumindest einem der beiden Kriterien gerecht werden. So spricht etwa für den neuen Außenminister V.C. Shukla dessen lange Erfahrung als Minister in verschiedenen Kabinetten Indira Gandhis. Allerdings haftet ihm das Stigma an, als Informationsminister in der Zeit des Ausnahmezustandes eine scharfe Zensur durchgesetzt und viele Publizisten ins Gefängnis gebracht zu haben.

Im Fall des neuen Finanzministers Yashwant Sinha lassen dessen administrative Fähigkeiten hoffen. Sinha gilt aber auch als treuer Gefolgsmann Chandra Shekars; er hatte die Revolte V.P. Sings inszeniert — und scheint dessen sozialistischer Ideologie verpflichtet zu sein. Jedenfalls legte er bereits kurz nach seiner Vereidigung ein Bekenntnis zum öffentlichen Sektor ab und sprach von Privatisierungen als „letztem Ausweg“. Er gab auch seiner Abneigung gegen IWF-Konditionalitäten Ausdruck, die „den Interessen des Landes zuwiderlaufen“. Ob sich diese Rhetorik aufrechterhalten läßt, wird sich angesichts der schweren wirtschaftlichen Krise des Landes — die ein Kreditersuchen immer wahrscheinlicher macht — noch weisen müssen.

Die anderen Schlüsselressorts — Inneres, Verteidigung und Information — hat der Premierminister für sich reserviert. Er gehorcht dabei einmal der Not einer mangelnden Auswahl, vor allem kann er damit aber direkt Einfluß auf die Lösung des Hindu-Muslim-Konflikts nehmen. Eine solche ist allerdings nicht abzusehen, da die extremistische „Vishwa Hindu Parashad“ letzte Woche angekündigt hat, am 6. Dezember den Tempelbau in Ayodhya erneut in Angriff zu nehmen.

Im Verteilreigen sind zwei wichtige Bundesgenossen Chandra Shekhars düpiert worden, was sich auf die Überlebensfähigkeit der Regierung mittelfristig auswirken könnte. Drei Dissidenten der Kongreß-Partei wurden ins Kabinett aufgenommen, obwohl sie zusätzlich noch persönliche Gegner Rajiv Gandhis sind. Rajiv Gandhi blieb der Amtseinsetzung am Mittwoch denn auch ostentativ fern — ein erstes Warnzeichen, daß der Kongreß sich seine Unterstützung und „Nichteinmischung“ etwas kosten lassen wird.

Der zweite Übergangene war Vizepremier Devi Lal, der gern selber Premier geworden wäre, sich aber wie vor einem Jahr mit der Nummer zwei begnügen mußte, erhielt noch die Portefeuilles für Landwirtschaft und Tourismus. Ob dies den machthungrigen und intrigelustigen Politiker davon abhalten wird, wiederum Nemesis zu spielen, ist für das Publikum schon keine Frage mehr.