: Man hätte schon lange „Skandal“ schreien müssen
■ Seit über zwei Jahrzehnten sind Dokumente bekannt DOKUMENTATION
1966 enthüllte das Nachrichtenmagazin 'L'Espresso‘, daß der zwei Jahre zuvor angeblich „routinemäßig“ abgesetzte Geheimdienstchef De Lorenzo wegen eines geplanten Militärputsches geschaßt worden sei; dabei hätten, neben der Carabinieri-Armee, auch besonders ausgebildete Zivilpersonen zur Verfügung gestanden. Da der General ein Zögling der USA war (seine Ernennung erfolgte auf ausdrückliches Anraten der Botschafterin Claire Booth Luce, Frau des 'Time‘-Verlegers und enge Freundin von CIA-Chef Allan Dulles), verhängte die Regierung über die Sache das Staatsgeheimnis. Die internationale Presse enthielt sich jeder Unterstützung für die italienischen Kollegen.
Im Dezember 1967 veröffentlichte eine norwegische Zeitung ein Dokument von 1962 mit der Überschrift „Beilage Nr. 3 zu den Dokumenten der Civil-Affairs-Oplan Nr. 100-1“, unterzeichnet von General J. P. Mac Connell, einem der Vizekommandanten der US-Streitkräfte in Europa. Darin ist zu lesen: Im Falle innerer Wirren, die faktisch die Mission der US-Truppen oder ihre Sicherheit beeinflussen könnten, wie bei einem militärischen Aufstand oder einem breiten inneren Widerstand gegen die Regierung muß die Regierung ... (folgen Punkte zum jeweiligen Einsetzen der dann weiter unten genannten Länder: 1. Norwegen, 2. Griechenland, 3. Türkei, 4. Westdeutschland, 5. Frankreich, 6. Italien, 7. Holland, 8. Belgien, 9. Luxemburg, 10. Dänemark) alles ihr Mögliche unternehmen, solche Wirren mit eigenen Mitteln zu unterdrücken. Reichen diese Initiativen nicht aus, oder ersucht die betreffende Regierung um Hilfe, oder der Kommandant der US-Truppen kommt zu dem Ergebnis, daß die Regierung nicht imstande ist, diese Wirren schnellstens zu unterdrücken, können die US-Truppen die vom Kommandanten für nötig gehaltenen Maßnahmen entweder aus eigener Initiative heraus oder in Zusammenarbeit mit der Regierung ergreifen.“ Die Nato gab keinen Kommentar, die norwegische Regierung dementierte, die Prese gab sich zufrieden.
1971 berichteten türkische Offiziere vor Gericht über die Existenz von „Counter formations“ dabei wurde sogar aus Handbüchern der CIA-Führung zitiert.
1973 kündigte eine türkische Zeitung die Publikation des „Top- Secret“-Handbuchs „Field Manual 30-31“ von 1970 (herausgegeben von Generalstabschef Westmoreland) an, in dem US-Geheimdienstler Maßnahmen zur Einrichtung der Counter Operations (vom „politischen Druck“ bis zur „gewalttätigen Aktion“) erläutern (vgl. Repro). Doch bevor dies geschah, verschwand der Journalist, der das Opus hatte, mit all seinen Dokumenten spurlos.
1976 erwischte die spanische Zeitung 'Triunfo‘ eine weitere Kopie und veröffentlichte sie. Die internationale Reaktion blieb erneut aus — erst ein Jahr danach nahm sich der italienische 'L'Europeo‘ des Dokuments erneut an und publizierte es. Doch wieder gaben sich die anderen Medien mit der Version der Regierung zufrieden — es sei eine „Fälschung“. Doch als ein Jahr danach das den Roten Brigaden nahestehende Blatt 'Contrainformazione‘ das Opus nachdruckte, wurde es beschlagnahmt — mit der Begründung des Verrats von Staatsgeheimnissen (später reduziert auf die Verbreitung rotbrigadistischer Flugblätter).
1978 publizierte der Politologe Roberto Faenza ein Werk mit dem Titel „Il Malaffare“. Darin zitiert er ein „Top-Secret“-Dokument des US-Generalstabs aus der Mitte der 60er Jahre mit dem Namen „Demagnetize“, dessen Einsicht er sich mithilfe des „Freedom of Information Act“ erstritten hatte: Es belegt, daß es bei den Nato-Strukturen keineswegs nur um Guerilla-Ausbildung ging, sondern um massive Einmischung in innere Angelegenheiten — und daß man sich des Souveränitätsbruchs absolut bewußt war: „Oberstes Ziel des Planes ist es, die Kraft der Kommunistischen Parteien, ihre materielle Basis, ihren Einfluß auf die italienische und französische Regierung und speziell auf die Gewerkschaften zu verringern ... Die Beschränkung der Macht der Kommunisten in Italien und Frankreich ist ein vorrangiges Ziel und muß mit jedem einsetzbaren Mittel betrieben werden ... Die italienische und die französische Regierung dürfen von dem Projekt ,demagnetize‘ nichts wissen, da dieses klarerweise mit der jeweiligen nationalen Souveränität in Kollision geraten könnte.“
Doch es ging nicht nur gegen Kommunisten: Faenza berichtet von einem Gespräch des damaligen CIA-Präsidenten in Rom, Vernon Walkers (heute Botschafter in Bonn) mit dem später putschistischen General De Lorenzo von 1962, wonach sich „ein Plan herausgebildet hat, um die Gefahren zu reduzieren, die durch den Eintritt der Sozialistischen Partei in die Regierung entstehen.“
Der Plan „Demagnetize“ wurde, das hat mittlerweile „Panorama“ enthüllt, ständig fortgeschrieben: nach dem Aufbau von „Gladio“ wurden in Phase II (ab 1974) Politiker bestochen oder korrumpiert, in Phase III „Einflußagenten“ in Presse und Wirtschaft aufgebaut, die auf die Regierung Druck ausüben konnten.
1984 erschien „Storia dei servizi segreti in Italia“ von Giuseppe de Lutiis, worin Vernehmungsprotokolle zitiert werden, die eindeutig auf die Existenz von Strukturen hinweisen, die wir heute unter dem Namen „Gladio“ kennen“. Am 1.11.1985 veröffentlichte die taz ein Interview mit De Lutiis über diese Erkenntnisse. Anfragen im Kanzleramt, im Verteidigungs- und im Innenministerium erhalten die Antwort „Hirngespinste“. Der Versuch, die großen Magazine zu interessieren, scheiterte.
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