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Viel Sprengkraft in der neuen Fraktion

Bei den Grünen scheiden drei Viertel der Bundestagsfraktion aus/ Mehr Linke rücken nach/ Konflikte mit den DDR-Bürgerrechtlern zeichnen sich ab/ Weiss und Ditfurth sind die absehbaren Gegenpole  ■ Aus Bonn Gerd Nowakowski

Das wird eine „spannende Angelegenheit“, ist sich der niedersächsische Bundestagsabgeordnete Helmut Lippelt sicher. Dem widerspricht in der Partei kaum einer. Doch nur wenige Grüne teilen die Hoffnung des notorisch auf Ausgleich abonnierten Lippelt, man werde die „Spannung ins Fruchtbare wenden“. Angesichts eines nahezu totalen Umbruchs bei den Westabgeordneten und zusätzlich konfrontiert mit DDR-BürgervertreterInnen, die quer zu allen grünen Schubläden liegen, ist in der neuen Fraktion mit erheblichen Sprengkräften zu rechnen.

Stärker noch als vor vier Jahren wird die Rotation das Bild der Fraktion verändern. Drei Viertel der bisherigen 41 Abgeordneten werden ausscheiden, darunter auch die jetzigen Fraktionssprecher Antje Vollmer und Willi Hoss. Abtreten wird auch das in Partei wie Fraktion seit langem isolierte grüne Urgestein Petra Kelly, die vergeblich versuchte, nach dem Aus in Bayern, in Hessen und anschließend in der DDR als Kandidatin zu landen. Verlieren wird die Fraktion auch Persönlichkeiten wie Christa Nickels, die wieder als Krankenschwester antritt, oder den Sprecher des „Linken Forums“, Ludger Volmer.

Dennoch weint der alten Fraktion keiner eine Träne nach. „Es kann nur besser werden“, sagt Almut Kottwitz, die für den abtrünnigen Otto Schily nachrückte und in Nordrhein- Westfalen erneut aufgestellt wurde. In der letzten Fraktion lief wenig zusammen. Je näher das Ende der Legislaturperiode rückte, desto stärker wurden die Auflösungserscheinungen. Nach zermürbenden Streitigkeiten tauchten die Ökosozialisten, denen selbst Ludgar Volmer eine „sektiererische Desperadohaltung“ attestiert, völlig ab.

Persönlichkeiten mit Ausstrahlung, so beklagen Grüne, seien im Westen auf der Kandidatenliste rar. Die Mehrzahl, ganz egal welchen Flügels, ist selbst in der Partei nahezu unbekannt. Dies weist der in der Partei wieder an Gewicht gewinnenden ehemaligen Parteisprecherin und Fundamentalökologin Jutta Ditfurth und der Ökosozialistin Gaby Gottwald (Hamburg), beide rhetorisch brillant, voraussichtlich eine starke Rolle zu — zumal sich die Zusammensetzung der Fraktion ändert: Die Linken sind deutlich stärker als bisher vertreten. Bei den Realos ist der Hesse Hubert Kleinert zum dritten Mal dabei. Wiederkehren werden auch Uschi Eid (ebenfalls zum dritten Mal), der Hesse Dietrich Wetzel, der zwei Jahre als Fraktionsprecher gedient habende Helmut Lippelt, die schleswig-holsteinische Ökosozialistin Angelika Beer, der Jurist Gerald Häfner, die unabhängige Reala Christa Vennegerts sowie die Feministin Jutta Österle-Schwerin und der grüne Vorzeigebauer Hias Kreuzeder, letztere zu den Linken zählend. Der nachgerückte kritische Polizist Manfred Such kommt ebenfalls wieder. Die schwere Niederlage der einstigen Mittelströmung der Partei, des „Grünen Aufbruchs“, auf den letzten Parteitagen wirkt nach: Einzig der abgewählte Bundesvorstandssprecher Ralf Fücks ist nominiert, muß aber im einwohnerschwachen Bremen über 14 Prozent holen, um in den Bundestag einziehen zu können. Konfliktpotential erwächst aus dem Zusammentreffen mit den Vertretern der ehemaligen DDR, deren Erfahrungen und Sprache sich so gravierend von der Mehrzahl der Westgrünen unterscheidet, daß sich die Frage aufwirft, ob diese Teile überhaupt zusammenwachsen können. Unter anderem werden Wolfgang Ullmann (Demokratie Jetzt), Werner Schulz (Neues Forum) und Vera Wollenberger (Grüne) sowie die für das Neue Forum am Runden Tisch präsent gewesenen Ingrid Köppe und Konrad Weiss (Demokratie Jetzt) nach Bonn kommen. Bereits im gemeinsamen Wahlkampf haben sich Unverträglichkeiten angedeutet; von dem positiven Verhältnis der DDRler zu Marktwirtschaft und Wiedervereinigung fühlten sich westdeutsche Parteilinke provoziert. Die Entfernung zwischen einem Konrad Weiss, der die Grünen als wertkonservative Ökologiepartei träumt und einer Jutta Ditfurth, die den Antikapitalismus predigt, könnte kaum größer sein.

Ludger Volmer erwartet zwar einen „sehr rasanten Neuorientierungsprozeß“ der DDR-Vertreter, der konfliktreduzierend wirken werde, sieht andererseits aber auch unvermeidbare Bruchlinien. Ohne den Namen Konrad Weiss zu nennen, spricht er von einem „ausgeprägten Individualismus, der kollegiale Zusammenarbeit“ ausschließen werde. Entscheidend wird deshalb die Besetzung des neuen Fraktionsvorstands sein. Eine Polarisierung Ditfurth und Weiss zu vermeiden, scheint vielen vordringlich. Jutta Ditfurth komme aus einem „anachronistisch gewordenen Realo-Fundi-Konflikt“, begründet Helmut Lippelt seine Ablehnung. Auch das „Linke Forum“ hat „wenig Neigung“, das alte Konfliktschema durch Jutta Ditfurth wieder zu befördern. Zu den realpolitischen Kräften und insbesondere zu Hubert Kleinert habe man inzwischen „gute Geschäftskontakte“ hergestellt und hofft auf Kompromisse. Allerdings müßten die Realos ihrerseits auf „Reizkandidaten“ wie Weiss oder Fücks verzichten.

Der erste Konflikt ist bereits vor dem Wahltag da. Ditfurth kritisiert die bereits anberaumte erste Fraktionsklausur als „konspirativ“, weil nicht öffentlich. Die alten Fraktionäre wollten „alle wesentlichen Entscheidungen in allergrößter Eile durchziehen“. Damit solle deren „Vorsprung... noch weiter zementiert“ und der Einfluß der Linken geschächt werden, vermutet sie. Die Fraktionsführung weist den Vorwurf zurück: Es gehe nur darum, den Übergang möglichst reibungslos zu organisieren. Was auf die Fraktion zukommt, offenbart der letzte Punkt in Ditfurths Protestschreiben. Darin fordert sie „Konsequenzen aus Konrad Weiss' Ankündigung, die Grünen... Spalten zu wollen“.

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