: »Wir vergessen die Tritte vors Schienbein nicht«
■ Interview mit dem Regierenden Bürgermeister und SPD-Spitzenkandidaten Walter Momper über den Umgang mit Koalitionspartnern, die Chancen von Rot-Grün nach dem 2.Dezember und die Zukunft der Länder Berlin und Brandenburg
taz: Zum Ende der Koalition hörte man von Ihnen, das tue weh. Ist der Schmerz überwunden?
Walter Momper: Das Mißtrauensvotum, worauf sich diese Äußerung bezog, wurde zurückgezogen.
Was bleibt?
Der Vorgang ist nicht besser geworden, weil die Alternative Liste kein besseres Verhältnis zur Gewalt in dieser Gesellschaft gefunden hat.
Was ist Ihnen aus der rot-grünen Koalition gut im Gedächtnis?
Ökologischer Stadtumbau, liberale Innenpolitik, Deeskalation und eine soziale Politik gegenüber den Armen und Schwachen.
Der Ex-Partner wirft Ihnen einen schlechten Stil vor — in Sachen Hausräumung wurde die AL nicht einmal informiert.
Zur Zeit des rot-grünen Senats gab es mindestens drei Dutzend Räumungen, und nie ist die AL vorher informiert worden. Wir haben uns auf die Berliner Linie im Grundsatz verständigt. Im übrigen gilt das Ressortprinzip — das hat Frau Schreyer für sich auch reklamiert.
Haben Sie mal einen erfahrenen Sozialdemokraten aus den alten Ländern gefragt, wie Koalitionen laufen — etwa mit der FDP?
Das ist nicht passiert.
Warum?
Weil ich selbst Koalitionserfahrung habe. Glauben Sie denn, ich lebe auf dem Mond? Ich lebe mitten in Berlin und mitten in der sozialdemokratischen Partei.
Dann wissen Sie ja, daß in Berlin nicht jeden Tag Barrikaden auf den Straßen stehen — also eine besondere Situation vorlag.
Am 1. Mai standen auch Barrikaden in Kreuzberg.
Da war die AL über das polizeiliche Vorgehen informiert.
Daß eingeschritten wird, wenn Gewalttaten begangen werden und Barrikaden stehen, ist für mich selbstverständlich. Das ist keine Koalitionsfrage, sondern Aufgabe der Polizei. Da muß ich vorher auch nicht den Koalitionspartner fragen.
Das würden Sie auch in einer Koalition mit CDU oder FDP so halten?
Sicher, denn was hat das mit der Parteizugehörigkeit zu tun?
Bleiben wir bei Stilfragen. Bischof Forck — sicher mit geklärtem Verhältnis zur Gewalt — beklagt, mit seinem Vermittlungsangebot gegen eine Mauer gelaufen zu sein. Warum war das so?
Weiß ich doch nicht, da müssen Sie Bischof Forck fragen. Im übrigen gab es nach dem Gewaltausbruch am Montag abend nichts mehr zu vermitteln. Vermittlungsversuche hat es Montag mittag von Bezirksbürgermeister Mendiburu gegeben, aber die Gewalt der Autonomen ging unvermindert weiter.
Ist die rot-grüne Option jetzt endgültig vorbei?
Es ist schon witzig, erst aus einer Koalition auszusteigen, dann ein Mißtrauensvotum gegen den Regierungschef dieser Koalition zu machen — womit man auch 19 Monate Zusammenarbeit für null und nichtig erklärt —, um dann zu sagen, wir machen weiter, als sei nichts gewesen. Die Sozialdemokraten werden die Tritte vors Schienbein nicht vergessen, und vor allem kann niemand darüber hinweggehen, daß die AL kein geklärtes Verhältnis zur Gewaltfrage hat.
Das ist eine Absage an das neuerliche Koalitionsangebot der AL- Fraktionschefin Künast.
Was meinen Sie mit Absage?
Das fragen wir Sie.
Der Wähler wird entscheiden, ob die Sozialdemokratie eine eigene Mehrheit bekommt.
In Berlin treten diesmal ziemlich viele Parteien an, da ist es ein weiter Weg zur Alleinregierung...
Meinen Sie?
Charakterisieren Sie uns bitte das Verhältnis zwischen Walter Momper und Eberhard Diepgen.
Ich bin zu parteiisch, um das zu können.
Stimmt denn die Chemie zwischen Ihnen beiden?
Was ist das denn?
Die Frage, ob zwei Menschen unabhängig von politischen Anschauungen miteinander können.
Ach, das meinte der Kohl immer damit.
Diepgen sagte zu uns auf die gleiche Frage, die Chemie könnte besser sein.
Interessant.
Interessant für Berlin ist, ob und wann die Stadt mit Brandenburg ein gemeinsames Bundesland bildet. Wie hätten Sie's denn gerne?
Wir sind bereit, ein Land Berlin- Brandenburg zu formen. Es waren die Brandenburger, die aus guten Gründen — wegen ihrer landsmannschaftlichen Identität — entschieden, ein eigenes Land Brandenburg zu machen. So bald die Brandenburger bereit sind, mit Berlin zusammenzugehen, sind auch wir dazu bereit.
Welchen Zeitraum wünschen Sie sich dafür?
Morgen, wenn die wollen.
Die Brandenburger könnten Geschmack finden am eigenen Bundesland.
Das muß man akzeptieren. Ich halte die Probleme eines Stadtstaates Berlin für lösbar.
Wie wollen Sie das Entstehen eines Speckgürtels verhindern?
Durch einen regionalen Planungsverband, der auch Kompetenzen hat. Dazu gehört auch ein Staatsvertrag zwischen beiden Ländern.
Soll darin stehen, daß der Gewerbesteuerhebesatz vor den Toren der Stadt nicht von denen Berlins abweichen darf?
Der Gewerbesteuerhebesatz ist nur einer von vielen Standortfaktoren. Es kommt auf ein Bündel von Bedingungen an, ein einzelner Faktor ist ziemlich Wurst.
Investoren könnten das anders sehen. Die kriegen vor der Stadt billiges Bauland und zahlen niedrigere Steuern als in Berlin.
Man sollte nicht nur die positiven Faktoren für das Umland betrachten. Im übrigen habe ich nichts dagegen, wenn Unternehmen sich in Bernau ansiedeln.
Dann sehen Sie aber nichts von den Steuern.
Natürlich nicht. Aber wir werden mit unseren Standortvorteilen Betriebe, vor allem im Dienstleistungsbereich, nach Berlin holen. Wir bieten den vorhandenen Markt, eine qualifizierte Arbeitnehmerschaft und die infrastrukturelle Einbettung in die große Stadt Berlin. So gibt es die Tendenz, daß aus dem hochverdichteten Innenstadtbereich Betriebe an den Rand der Stadt gehen werden. Durch Dienstleistungsbetriebe im innerstädtischen Bereich wird man eine höhere Kapitalrendite herausholen können.
Stehen die Investoren Schlange?
Man muß differenzieren: Außer Daimler-Benz gibt es keinen großen Konzern, der einen Teil seiner Leitung in Berlin ansiedeln will. Es gibt aber viele Investoren, insbesondere auch Hotels, die Einkaufszentren oder Dienstleistungshochhäuser hinstellen wollen. Von den großen Konzernen, die ihre Zentralen einmal aus Berlin ausgelagert haben — Siemens oder AEG etwa — kommt niemand zurück. Also: Schlange stehen die großen, bekannten Konzerne aus dem In- und Ausland hier nicht. Interview: Kordula Doerfler/ Axel Kintzinger
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