: Jubel im Märchenland — Pittiplatsch bleibt
■ Besorgte Eltern und Kinder können wieder ruhig einschlafen: Das Ost-Sandmännchen wird doch nicht abgeschafft/ 45.000 Menschen unterschrieben Aufruf zum Erhalt der Kindersendung »Abendgruß«/ Heute Solidaritätskundgebung für Pittiplatsch
Berlin. Hunderttausende von Kleinkindern aus den Fünf Neuen Ländern (FNL) können seit gestern wieder ruhig einschlafen: Eine der beliebtesten deutschen Kindersendungen, das Ost-Sandmännchen, wird die Rundfunkreform überleben. Das gab gestern der Rundfunkbeauftragte der Bundesregierung, Rudolf Mühlfenzl, in Berlin bekannt.
Bisher hatten sich hartnäckig Gerüchte gehalten, nach denen der Abendgruß — so der Titel der Sandmännchen-Sendung — aus dem künftigen Programm gestrichen werden sollte.
Die Stars des Abendgrußes — Pittiplatsch, Schnatterinchen, Herr Fuchs und Frau Elster — sind weit über das Gebiet der Ex-DDR hinaus bekannt und beliebt. In westdeutschen Städten, in denen man das DFF-Programm noch empfangen kann, wird der Ost-Sandmann oft dem westlichen Pendant vorgezogen. Kaum eine andere Sendung ist so erfolgreich: Über 50 Prozent der Zielgruppe, das sind alle drei bis sechs Jahre alten Kinder in den FNL, verfolgen täglich die Abenteuer der Puppen.
Der furchtbare Gedanke, daß die Puppen demnächst nicht mehr um zehn vor sechs und zehn vor sieben auf der Mattscheibe zu sehen sein könnten, jagte rund 20 Elternpaaren aus Ost- und West-Berlin einen solchen Schrecken ein, daß sie eine Bürgerinitiative bildeten. Binnen weniger Wochen hatten sie 45.000 Unterschriften für den Erhalt der Sendung gesammelt. Sie sollen dem SFB-Intendanten übergeben werden. Heute um 10.00 Uhr wollen sie in Hohenschönhausen (Treffpunkt Zinkstr./ Ecke Falkenberger Chaussee) demonstrieren. An der Demo werden auch Redakteurinnen und Redakteure des Abendgrußes sowie Sprecher der Puppen teilnehmen.
Der Abendgruß wird seit dem 22. November 1959 täglich ausgestrahlt. »Die Figuren haben sich seitdem äußerlich kaum verändert!« meint Puppenspieler Heinz Schröder, der von Anfang an Herrn Fuchs, Frau Elster und Pittiplatsch seine Stimme lieh. Schröder bedauert allerdings, daß »Pitti heute nicht mehr so frech ist wie früher«. Die pummelige schwarze Puppe kommt bei den Kindern aber immer noch am besten an. Während Schnatterinchen eher eingebildet und eitel, der Fuchs oft vergnatzt und die Elster schrullig ist, spielt Pittiplatsch den kindergerechtesten Part: Er will immer seinen Willen durchsetzen. Ein Anarcho, wie beispielsweise »Oskar aus der Mülltonne« (Sesamstraße) ist »Pittiplatsch, der Liebe« aber trotzdem nicht — solche unfreundlichen Individualisten wie Oskar waren im sozialistischen Kinderprogramm nicht vorgesehen.
Aus der Politik haben sich Pitti und Co. weitgehend rausgehalten. Es ginge vielmehr um die »Vermittlung humanistischer Ideale« durch die Sendung, meint Heinz Schröder. Nur das Sandmännchen schoß manchmal quer, verließ das Märchenland und besuchte den realen Sozialismus: So rollte das Sandmännchen, dem Nörgler wegen seines Spitzbartes eine gewisse Ähnlichkeit zu Walter Ulbricht nachsagen, am Tag der Volksarmee auch schon mal mit einem Panzer ins Fernsehbild. Dem Ruf der Sendung haben solche Ausreißer nicht geschadet.
Wenn das »Märchenland«-Team Live-Auftritte gibt, sind die Säle rappelvoll. Erst vor kurzem gab es in Neubrandenburg zwei Vorstellungen vor ausverkauften 800 Plätzen. Heute tritt Pittiplatsch in Hamburg auf.
Die Veranstalter rechnen vor allem mit vielen Ex-DDR-Bürgern im Publikum, denn auch in den Übersiedlerheimen der Hansestadt wird täglich der Abendgruß geguckt. CC Malzahn
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