: Der Mann, der Maggi Thatcher stolpern ließ Wie Michael Heseltine die Welt der neunziger Jahre sieht Ein Interview von “World Media“ Was hier nicht steht, steht in “World Media“, z.B. —die Antworten von acht weiteren Regierungsberatern und Politikern auf diese Fragen —doppelseitige Panoramakarten zur Geopolitik der neunziger Jahre —Experten schreiben über die multipolare Welt, über Eu ropa, die Zukunft der Dritten Welt u.a. World Media ist ein Gemeinschaftsprodukt von 15 Zeitun gen aus 15 Ländern, die eutsche Ausgabe erscheint als taz vom 24. Dezember, ist vierfarbig und 96 Seiten stark.
taz: Würden Sie sich der Meinung anschließen, daß mit dem Ende der Ost- West-Konfrontation die USA und die UdSSR weniger Einfluß auf die Ereignisse in der Welt haben werden?
Michael Heseltine: Ich glaube, daß die Vereinigten Staaten noch für eine Weile die wichtigste Rolle auf der Weltbühne spielen werden. Japan wird zweifellos seinen Einfluß vergrößern, und die Europäische Gemeinschaft wird mehr und mehr in der Lage sein, mit einer Stimme zu sprechen. Dagegen ist es heute unmöglich, die Zukunft der Sowjetunion vorauszusagen. Ich stelle sie mir fragmentierter vor; ganz sicher wird sie keinen zusammengeschweißten Block mehr darstellen wie vor allem in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts.
Wenn ein Mitgliedsstaat der Gemeinschaft aus welchem Grund auch immer austreten will, dann tritt es aus — auch wenn es den Gemeinsamen Markt gibt. Wer sollte es daran hindern? Wenn es ein Referendum für einen Austritt gibt, oder wenn sich eine Partei den Austritt aus der EG auf die Fahnen schreibt und sich damit durchsetzen kann — dann wird das eben möglich sein.
Werden die 90er Jahre durch Nord-Süd-Spannungen geprägt sein, oder ist im Gegenteil eine Süd-Süd- und Nord-Nord-Polarisierung zu erwarten?
Spannungen sind nie vorauszusehen, das ist eine Grundregel. Risiko-Zonen könnte ich Ihnen viele nennen. Doch wo immer sich eine spannungsgeladene Situation ergibt, gibt es gleichzeitig Möglichkeiten, sie zu entschärfen. Die kritischste Region ist heute der Nahe Osten. Die Probleme haben sich schneller zugespitzt, als ich es vermutet habe. Solange aber die Welt ihre Wirtschaft unter Kontrolle hat, können wir auch die Sicherheitsprobleme im Griff behalten. Niemand kann jetzt genau wissen, wie sich die Krise im Nahen Osten entwickeln wird; ich glaube jedoch nicht, daß Europa so sehr darin verwickelt ist, um in einen Dritten Weltkrieg gezogen zu werden.
Man könnte alle potentiellen Konfliktregionen Revue passieren lassen. Dabei geht man allerdings das ernsthafte Risiko ein, das es dort am ehesten explodiert, wo man es am wenigsten vermutet hatte. Der israelisch-arabische Konflikt in allen seinen Formen wird jedoch ein Unruheherd ohne Ende bleiben. In „Nord-Süd-“ oder „Süd-Süd“-Kategorien zu denken, halte ich in jedem Falle für unangebracht.
Kommen wir zu Europa: Der polnische Schriftsteller Krzysztof Pomian hat aus den Ereignissen mehrerer Jahrhunderte folgendes Resumee gezogen: Der Nationalstaat hat die Idee des vereinten Europas am Ende immer wieder besiegt. Sind Sie der Meinung, daß diese Interpretation für das kommende Jahrzehnt zutreffen könnte?
Bis heute hat die EG ihre Skeptiker widerlegt; und ich hoffe, sie wirde es auch in Zukunft tun.
Das wirkliche Problem ist, daß die Sowjetunion eine Trennlinie durch Europa gezogen hatte und die Europäsiche Gemeinschaft immer wieder auf sich selbst zurückfiel. Die kommunistische Bedrohung hat ihr diese abgeschlossene Entwicklung aufgezwungen.
Mit den Veränderungen durch Gorbatschow sind die Optionen wieder offen. Er hat die historisch Wahlmöglichkeit wiederhergestellt. Die Frage ist, ob die europäischen Länder jetzt dieselbe Wahl treffen wie damals, als sie keine Alternative hatten. Ihr polnischer Autor könnte dann doch Recht behalten, was sehr schade wäre.
Ich vergleiche die Europäische Gemeischaft gerne mit einem Club. Man ist dort Mitglied, weil es Vorteile bringt, und man akzeptiert die Regeln. Doch wenn jemand den Club verlassen will, gibt es deswegen nicht gleich einen zweiten Sezessionskrieg! Die amerikanische Armee reitet keine Attacke, um einen Staat der Konföderation in die Union zurückzuholen...
Welche Rolle wird Großbritannien selbst im Jahr 2000 spielen?
Ich bin heute mehr denn je überzeugt, daß Großbritannien seinen Platz in Europa hat. Ich habe Ihnen vorhin erklärt, daß die EG für mich ein Zusammenschluß von Eigeninteressen ist. Um sein Eigeninteresse zu verfolgen, scheint mir der beste Weg für Großbritannien die aktive Mitgliedschaft und die Einflußnahme in der EG. Die Europäische Gemeinschaft ihrerseits kann durch unser Engagement ebenfalls viel gewinnen. Als Nation hat uns die Erfahrung Toleranz gelehrt. Das ist wichtig, um ein weniger korporatistisches Europa aufzubauen, das offener ist für Handel und für ein Klima wirtschaftlichen Wettbewerbs. Und ich denke auch, daß die Jahrhunderte alte britische Tradition einer ununterbrochenen parlamentarischen Demokratie ein unschätzbarer Beitrag für das politische Funktionieren der EG ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen