: Müsli für Rußland
■ Eine Hilfsaktion von Berliner Bioläden
Drei Naturkosthändler in Berlin, das Märkische Landbrot, Terra Naturkost und Terra Frischdienst, wollen mithelfen, daß die Menschen in der Sowjetunion diesen Winter nicht verhungern. Eine Hilfsaktion von unten, eine der vielen Privatinitativen, die alle eines gemeinsam haben: sehr viel guten Willen und sehr wenig Ahnung von den Verhältnissen in der Sowjetunion. „Nur zu sagen, daß es Probleme gibt, nützt niemandem“, wehrt Joachim Beckmann, Inhaber des Märkischen Landbrotes, alle Skeptiker ab, „man muß einfach anfangen. Unsere Aktion soll kein Abenteuer werden, wir wollen nur helfen.“
Die drei Händler wollen bei ihren Abnehmern, den Reform- und Naturkostläden, Geld sammeln, Tausende von Päckchen packen und diese zwischen Weihnachten und Neujahr mit firmeneigenen Lastwagen in die Sowjetunion karren. Wohin, ist noch nicht klar, denn Diesel soll in der Sowjetunion knapp sein. Am liebsten wäre den Initiatoren eine Hilfsaktion in Riga oder Minsk. „Für 600 Kilometer hin und zurück können wir Benzin mitnehmen“, meint Beckmann.
In den Päckchen wird für die Sowjetbürger Ungewohntes zu finden sein. Statt Rindfleischdosen aus EG-Beständen, Milchpulver und andere Industriewaren, wie sie Bundesregierung und karitative Organisationen güterzugweise bereitstellen, verschenken die Naturkosthändler nur Gesundes — eben Lebensmittel, die nach „ernährungsphysiolgischen Gesichtspunkten“ ausgewählt werden. „Wir machen keine Reklame für Müsli und Crunchy“, sagt Beckmann, aber „natürlich werden wir Müsli, Bioschokolade und Biostollen in die Pakete packen. Die sind nicht nur gesund, sondern auch süß.“ Denkbar wären auch biologisch angebaute Hülsenfrüchte, Sonnenblumenkerne, Sojamilch und Biokonserven. Wer all diesen Segen letztendlich erhalten wird, weiß die Naturkostinitative ebenfalls noch nicht. Seit Tagen telefoniert Angela Härtel, russischsprechende Mitarbeiterin, in aller Welt herum, fragt nach Adressen von Umweltgruppen oder kirchlichen Basisgruppen. „Wir können unsere Naturkostnahrung doch nur Menschen schenken, die mit alternativer Nahrung was anfangen können“, räumt sie ein. Viel größere Kopfschmerzen aber als die Adressen von Müslifreunden macht ihr die ganze sowjetische Bürokratie. „Helfen ist schwierig“, sagt Angela, aber sie läßt sich nicht entmutigen, „denn Hilfe ist wichtig, und Spaß macht sie auch.“ Die Hürden, angefangen von Zollbefreiung bis Visaerteilung, „werden wir schon auf die Reihe kriegen“. Anita Kugler
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