: Rot-Grün abgewählt
■ Alte Parteien reüssieren im neuen Deutschland KOMMENTAR
Bundestagswahlen laufen ab, als gebe es den ideellen Gesamtwähler wirklich. Und der optierte immer schon für Stabilität mit begrenztem Wechsel. Da kann die Muse der Geschichte einen Hexensabbat veranstalten, da kann es mit der deutschen Einheit eine Orgie an Veränderungen geben. Kohl hat trotzdem keinen Geschichtsbonus bekommen. Der Mantel der Geschichte ist schon vorher in den Kostümfundus abgegeben worden. Der deutsche Wähler bemüht sich fast wie ein kollektives Subjekt um austarierte politische Gerechtigkeit und Balance. Gebilligt wurde die Administration der Vereinigung.
Das Jahr der Exekutive ist zu Ende. Die Mehrheit der Wähler hatte da offensichtlich wenig Kritik, aber auch wenig Begeisterung. Honoriert wurde das politische Management, die politische Tätigkeit. Und der wahre Manager der Einheit, der Manager einer neuen Großmacht mit weltpolitischem Konsens war eben Genscher. Wenn es in dieser Wahl etwas Plebiszitäres gab, dann war es ein Plebiszit für Genscher, den sächselnden Kissinger, der weltpolitische Routine mit Heimatgefühl verbinden konnte.
Erdrutsche sind eben hierzulande unbeliebt und werden auf den Kampf um den dritten Platz verschoben. Beim dritten Mann, beim dritten Platz ging es um den politischen Schlüssel. Der Kampf um die Mitte war ausgereizt, die neuen Wählerschichten hatten ein bestimmendes Gewicht.
Diesen Kampf um den dritten Platz haben die Grünen verloren. Nicht nur verloren: Das Wahlergebnis ist nachgerade eine Bestrafung, eine rote Karte von der Stammwählerschaft. Der grüne alternative Zahnarzt sucht eine neue politische Heimat. Und sie haben noch mehr verloren: die Perspektive Rot-Grün, die einzige Perspektive einer politischen Modernisierung, eines Generationswechsels, einer Demokratie jenseits der Parteienmonopole. Von den Grünen hing es ab, ob die rot- grüne Perspektive überleben würde.
Lafontaine hat einen Wahlkampf des anderen Deutschland, einen Wahlkampf gegen die deutsche Einigungsgeschichte gemacht. Als Repräsentant dieser Alternative darf er die Niederlage seiner Partei überlassen und sich selbst einen Achtungserfolg zugute halten. Also muß das grüne Desaster erklärt werden.
Die Grünen haben praktisch alles falsch gemacht. Sie waren nicht die Partei des anderen Deutschland; sie waren die Partei der vergangenen Bundesrepublik. Sie haben sich nicht nur der Vereinigung verweigert, sie haben das Neue, die Veränderung, die die Einheit mit sich brachte, abgewehrt. Die Ideen einer neuen Demokratie, die Kraft der Bürgerbewegungen aus dem Osten haben sie mit pädagogischer Distanz verspielt. Wer gegen die Einheit die Klimakatastrophe auspielt, gegen die radikalen Gesellschaftsumbrüche das Ozonloch ins Feld führt, will nicht Politik machen, sondern recht behalten. Und den Wähler darf man nicht geißeln, wenn er Rechthaber nicht mag.
Was ist das für eine Partei, die bei einem Erdbeben an der Geschäftsordnung festhält und sich den Luxus leistet, auf ihre Besten zu verzichten. Und die Niederlage wird um so gravierender, wenn man bedenkt, daß die Ökologie in diesem Jahr der Einheit keineswegs an Gewicht verloren hat. Im Gegenteil: Die Einheit selbst ist der größte Erfolg der deutschen Umweltpolitik, seitdem es das Wort Ökologie überhaupt gibt. Die AKWs im Osten sind abgeschaltet, die Umwelthöllen von Bitterfeld bis Aue, wo Menschen im Durchschnitt zehn Jahre früher sterben müssen, werden jetzt erst geöffnet. Die Partei der Einheit ist eine Partei für die Ökologie, was das Gebiet der ehemaligen DDR betrifft. Die Grünen haben in den letzten Monaten nie den Eindruck gemacht, daß sie das politisch wahrgenommen haben.
Besonders hart ist der Untergang der rot-grünen Perspektive in Berlin. Auch hier liegt ein eindeutiges Urteil über die rot-grüne Politikfähigkeit vor, das um so härter ausfällt, als die Berliner CDU außer spießerhaften Sehnsuchtsausbrüchen nach ordentlichen Vorstadtverhältnissen praktisch zu der entstehenden neuen Metropole des Ostens nichts zu sagen hatte.
Der Rest des Wahlergebnisses bestätigt nur das deprimierend Vernünftelnde der gesamtdeutschen Wählerschaft: Die PDS ist im begrenzten Maße eine Protestwähler- Partei für DDR-Nostalgiker, wenn gleichwohl in der ehemaligen DDR mehr Menschen privilegiert waren, als PDS-Stimmen gewonnen werden konnten. Das Verhältnis von CDU und SPD in den sogenannten neuen Bundesländern pendelt sich auf den gesamtdeutschen Durchschnitt ein. Gemessen daran, daß die Massenarbeitslosigkeit, der Zusammenbruch der sozialen Sicherheit die ersten deutlichen Lehrstunden in Sachen freier Marktwirtschaft mit sich gebracht haben, muß man sagen, daß auch der Wähler in Ostdeutschland ein höheres Interesse an politischer Stabilität hat und darauf verzichtet, an der Wahlurne Enttäuschungen, Hoffnungen und Ängste auszudrücken. Gleiches gilt für die Ex-DDR- Opposition: Sie ist im neuen Bundestag vertreten. Mehr auch nicht. Klaus Hartung
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