„Weg von der Basokratie“

■ Joschka Fischer, Fraktionschef der Grünen im hessischen Landtag, zum Wahldesaster INTERVIEW

taz: Was nun, Herr Fischer? War das nun ein Schuß vor den Bug der grünen Partei, oder geht es jetzt ums nackte Überleben?

Joschka Fischer: Es geht ums Überleben, denn die wichtigste Repräsentanz der Partei auf Bundesebene, die Fraktion, wurde schlicht versenkt. Das war kein Schuß vor den Bug, sondern ein Volltreffer. Und dafür gibt es im wesentlichen drei Gründe: Erstens kann man auf Dauer die Gesetze der politischen Physik nicht ignorieren und sich auf eine politische Nichtdarstellung reduzieren. Das machen die Wählerinnen und Wähler auch der Grünen offensichtlich nicht mehr mit. Wenn man zweitens Otto Schily zur SPD treibt, wenn Antje Vollmer rotieren muß, dann ist das eine selbstmörderische Personalpolitik und stützt natürlich einen sozialdemokratischen Hoffnungsträger vom Schlage eines Lafontaine. Und das Dritte ist natürlich, daß wir aufgrund unserer Strukturlosigkeit und aufgrund der nicht vorhandenen Persönlichkeiten auf Bundesebene nicht mehr darstellungsfähig waren. Und deshalb konnten wir auch unsere Wählerschaft nicht mobilisieren. Das sind die drei Hauptgründe für die katastrophale Niederlage am Sonntag. Das Debakel ist im wesentlichen hausgemacht — und zwar über Jahre.

Haben die Realpolitiker, hat Joschka Fischer im Vorfeld dieser Wahl auch Fehler gemacht?

Was heißt Fehler? Natürlich hätte man vielleicht noch härter für eine vernünftige Linie kämpfen müssen. Aber die Mehrheiten dafür waren einfach nicht da. Hagen war das letzte Beispiel. In Dortmund, als nach Hagen schon nichts mehr zu reparieren war, haben wir alle Fücks gewählt. Die Mehrheit der Partei war der Auffassung, daß der Krug solange zum Wasser gegangen und nicht gebrochen ist, daß er auch noch weiter zum Wasser gehen kann — was kümmert's uns. Ich sage es nochmal: Eine Frau wie Antje Vollmer nicht als Listenführerin in NRW aufzustellen, das ist einfach tödlich. Oder nimm die Verhältnisse in Bonn: pro Jahr drei Sprecherinnen und Sprecher. Da spricht am Ende niemand mehr, weil das keinen Menschen in der organisierten Öffentlichkeit mehr interessiert. Von der Fraktion wurde teilweise sehr gute Sacharbeit geleistet, zum Beispiel im Umweltbereich. Nur konnte man sich nicht auf einen Sprecher oder eine Sprecherin einigen — also hat niemand gesprochen. Das ist die Tragödie der Partei. Nun muß man auch auf der Bonner Ebene die Frage nach der Vereinbarkeit von Amt und Mandat nicht mehr diskutieren, weil es kein Mandat mehr gibt.

Gibt es für die Grünen noch einen Ausweg aus dem Dilemma?

Es muß jetzt eine klare Entscheidung geben: für das Überleben — oder der Laden läuft auseinander. Überleben wird heißen, daß wir eine richtige Partei werden, eine ökologische Reformpartei. Wir müssen wegkommen von der basokratischen Selbstlähmung. Wir müssen endlich innerparteiliche Demokratie praktizieren, dahin, daß die Kreisebene mit der Landesebene zusammenarbeitet, die Landesebene mit der Bundesebene. Und da kann man nicht mit der beliebigen Zusammensetzung solcher Gremien operieren, sondern man muß dafür sorgen, daß die guten Frauen und Männer, die wir vor Ort haben, auf der Landesebene und auf der Bundesebene repräsentiert werden. Unsere abgestandene Reform-oder- Revolution-Debatte interessiert doch keinen Menschen mehr, und schon gar nicht die Jungwähler. Wir brauchen eine grundsätzliche Erneuerung von innen heraus. Und dann müssen die Leute an der Schnittstelle von Mehrheitsfähigkeit und Können Freiräume zum Handeln bekommen und gleichzeitig integrativ wirken. Das ist unsere letzte Chance. Interview: Klaus-Peter Klingelschmitt