: Die Bahamas vor den Bermudas
Die Schach-Olympiade endete mit ungarisch weiblichen und sowjetisch männlichen Erfolgen ■ Aus Novi Sad Eugen Kurz
Die russischen Stars wurden ihrer Favoritenrolle souverän gerecht. Mit 39,0 Punkten aus 56 Partien holten sie sich das olympische Gold wie zuvor in 17 der 20 Schacholympiaden, die seit dem Zweiten Weltkrieg ausgetragen wurden: In Dubrovnik 1950 und Haifa 1976 nahm keine Mannschaft der UdSSR teil, nur in Buenos Aires 1978 gaben ihr die Ungarn das Nachsehen.
Auch ohne Kasparow und Karpow war das Team imposant besetzt: Neben Iwantschuk und Gelfand (Nr. 3/4 der Weltrangliste) spielten Jusupow und Judasin (Teilnehmer am nächsten Matchzyklus der WM- Kandidaten) und Beljawski und Barejew (aktuelle Co-Champions der UdSSR). Jeder hätte in fast allen der 107 Mannschaften ans Spitzenbrett gehört. Runde um Runde bauten sie ihren Vorsprung auf 3,5 Punkte aus. Das entspricht dem Abstand der zweitplazierten USA und den an 19. Stelle gelandeten Mexikanern.
Die zweitplazierten Amis verdankten ihren Erfolg wesentlich ihrem ausgezeichneten Teamgeist und der Tatsache, daß sie ohne ihre beiden stärksten Spieler angetreten waren. Womit Vater und Sohn Gata Kamsky gemeint sind. Der 16jährigen Exilrusse halbtatarischer Herkunft ziert mit phänomenalen 2.650 Elo-Punkten den 8. Platz der Weltrangliste. Allerdings kreuzt er unvermeidlich und überall mit seinem Vater auf, der mit seiner ungehobelten Art jeden sofort und unwiderstehlich gegen sich einnimmt. Die Abwesenheit von Kamsky Vater samt Sohn hatte tiefgreifende Konsequenzen für die Stimmung der schachspielenden Amerikaner, die spätabends oft wohlgelaunt an der Bar des Hotels anzutreffen waren.
Die drittplazierten Engländer kamen anfangs nur zögernd in Fahrt, profitierten dann aber vom Austragungsmodus, dem sogenannten Schweizer System. In der 7. Runde erhielten sie Australien als Gegner, das nach zwei 4:0-Kantersiegen gegen die Schachzwerge Libanon und Irland für eine Runde in den oberen Regionen des Riesenfeldes (108 Mannschaften) aufgetaucht war. Die Briten nutzten ihre Chance, versenkten die einstige Kolonie mit 3,5:0,5 und sprangen so wieder in die Spitzengruppe.
Aus Deutschland waren letztmals nach West und Ost gesonderte Mannschaften am Start. Was anfangs zu einigen Verunsicherungen mit der Nomenklatur führte. Schließlich saßen die ostdeutschen Spieler und Spielerinnen unter der Flagge der Bundesrepublik und den Buchstaben DOR. Nur in den täglich vom Computer ausgedruckten Tabellenständen standen bis zum Schluß die ausgestorbenen drei Buchstaben.
Die Männermannschaften lieferten beide ein großes Turnier. Deutschland West landete schließlich auf Rang 9, 9 Plätze besser als in Thessaloniki 1988. Deutschland Ost belegte nach einer unnötigen Niederlage gegen Schweden in der letzten Runde Rang 25. Die Plazierungen spiegeln die Leistung beider Teams nicht adäquat wider. Bei besserer Chancenausnutzung hätten beide bessere Plätze erreichen können.
Bei den Frauen gelang es den ungarischen Titelverteidigerinnen am Ende doch noch, die Sowjetunion vom ersten Platz zu verdrängen. Zsuzsa, Judit und Zsofia Polgar erreichten wie die UdSSR 35,0 Punkte und konnten sich vor allem bei der enttäuschenden Weltmeisterin Maja Tschiburdanidse für ihren Sieg bedanken. Die ostdeutschen Damen schnitten mit Rang 11 besser ab als die westdeutsche Mannschaft, die nur Platz 16 belegte.
Ein großes Schachfest ging zu Ende. Der Berichterstatter will nicht verschweigen, was für ihn insgeheim das Spannendste gewesen ist: nämlich der Wettlauf zwischen den Bahamas und Bermuda am Tabellenende. Die Bahamas haben ihn gewonnen, sie wurden 105. mit 21,5 vor Bermuda mit 21,0 Punkten. Die Bermudianer haben dafür den Triumph, die erfolgreichste der olympischen Parties veranstaltet zu haben: 500 Teilnehmer feierten bis ins Morgengrauen.
Beide aber ließen noch zwei Mannschaften hinter sich: Mauritius und Kenia. Jede Wette: Die Gefühle der Mücke sind so groß und so schön wie die des Elefanten!
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