piwik no script img

Magic Toe Nail Record Release Party/ Saint Vitus

■ Rock'n‘Roll im weitesten Sinne

Das Ecstasy ist berüchtigt für die häufigste Konzertfrequenz im Monat. Fast jeden Tag tummeln sich dort diverse Kapellen, was nicht selten zu minderen Zuschauerzahlen führt. An diesem Freitag finden nun sogar zwei Gigs im Hause statt, von denen einer allerdings nicht auf die Initiative des hyperaktiven Chefs zurückgeht.

Die Jungs der Twang-Tone Enterprises haben das Ecstasy gemietet, um in passender Örtlichkeit eine kleine Rhythm & Blues-Party zu begehen, auf der ihre jüngst gesignten Berliner Bands Loose Trigger und The Silverbones ihre Debut-Releases vorstellen dürfen. Das Ecstasy war für die Sixties-beeinflußte Szene neben dem leider verblichenen Blockschock schon immer der wichtigste Laden zur Präsentation von Musik und Outfit. Die genannten Combos werden allerdings darauf bestehen, daß sie mitten in den 90ern bzw. an deren Beginn leben und dementsprechend zeitgemäße Töne verbreiten.

Zumindest Loose Trigger geben zu, von vornehmlich skandinavischen Prüglern à la Dolkows, The Wanna Bees oder Psychotic Youth beflügelt zu sein, die auch alle an der Überführung der Sechziger in verschiedene Punk- und Rockmutationen arbeiten. Obwohl schon 1985 gegründet, werfen sie erst jetzt eine erste Single auf den Szene- Markt, die es auf der Party zu erstehen gibt; auch die Previewer müssen sich bis dahin gedulden. Da ich Loose Trigger zugegeben live noch nicht genossen habe, sie mir also unbekannt sind, bleibt mir nur, zur Beschreibung ihres Sounds das Info zu zitieren: »Loose Trigger's Stil ist hart, aber kein Hard-Rock, er beinhaltet die Energie des 70er Punk, Einflüsse von Rhythm & Blues, und ein tiefes Gefühl für klassische Rockballaden.« Ah ja. Das Ganze ist dort übrigens in Erwartung des sich einstellenden Erfolges wohlweislich in Englisch verfaßt.

The Silverbones machen Rock'n‘Roll im weitesten Sinne und stehen zu jeder Art von Teenie-Musik, heißt von Bill Haley über Rolling Stones bis zu New Kids On The Block (ist wohl eine etwas hingebogene Kette und zudem falsche Genealogie, oder die Band hat Humor). Entgegen der Sprache ihres Namens singen sie dazu aber auf Deutsch, weil sie das Englische nicht gut genug beherrschen. Endlich mal ein honoriges Eingeständnis und die richtige Konsequenz, wenn man an all die phonetischen Verbieger wie die Sänger von Element Of Crime oder — noch schlimmer — Eloy denkt, die nicht mal ein »th« richtig aussprechen können.

The Silverbones hießen früher The Exleghs und haben den Hype-Schreiber Hennie Hell an den Drums sitzen, der schon im Heft für einige Späße gut ist. Ihre erste LP heißt »Das Leben ist schön!« und bildet damit das Motto der Record Release Party von Magic Toe Nail Records/Twang-Tone. Passend dazu ist der Eintritt frei, also hin!

Wem dies Ereignis zu munter und frisch anmutet, kann sich auch später in den Keller der Ecstasy-Burg vorwagen, wo die militanten Tempo-Gegner von Saint Vitus das Gewölbe umgraben werden. Die selbsternannten Erben von Black Sabbath sind mal wieder in der Stadt, um ihre Deutschland- Tour dort abzuschließen, wo sie begann. Das scheint sowieso die Spezialität des Hellhound-Labels zu sein, wo Saint Vitus mittlerweile veröffentlichen. Die haben auch schon die Lazy Cowgirls auf eine Zirkeltournee geschickt. Erste und letzte Tournacht sollen ja ganz spezielle Athmosphären haben. Labelchef Tom drohte deshalb schon an, daß seine Hippies so gut drauf sein werden, daß sie mindestens drei Stunden spielen wollen. Das ist doch was bei den heute üblichen Drieviertelstunden-Konzerten.

Saint Vitus schaffen es locker, mit sechs Stücken eine ganze Stunde vollzudröhnen, immer schön langsam und dumpf auf der Stelle zu treten und dabei zu beklagen, daß sie zur falschen Zeit geboren sind. Die Kalifornier zelebrieren das living in the past allerdings nicht in der mittelalterlichen Jethro Tull-Manier, sondern sehen die Welt in atemberaubender Geschwindigkeit an sich vorbeirasen und versuchen, die Zeit in schleppend kriechenden Songs wenigstens für Stunden anzuhalten.

Dabei verhindern sie ein Auflösen in Mystik durch eine ganz eigene Art von Energie. Statt Langweile zu erzeugen, schärfen Saint Vitus die Sinne für das Kleine, unwesentlich Scheinende, das aber doch die Essenz von Musik und Erleben ausmacht. Das ist wahrlich Hippie-Denken, aber die Freilegung von sonst in Komplexität versteckten Elementen hat erhellende Wirkung. Und es ist nur für kurze Zeit, Saint Vitus wissen das selbst. Born out of time heißt auch, sich gebrochen ironisch zur Jetztzeit in Bezug zu setzen. Dies tun Saint Vitus, indem sie kurze schnelle Punk-Klopper spielen, die dann aprupt gebremst werden, um zur »Sache« zu kommen. In Kalifornien leben wirklich noch krude Geister. Schwalbe

Record Release Party mit Loose Trigger und The Silverbones ab 21 Uhr im Ecstasy

Saint Vitus ab 23 Uhr im Ecstasy

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen