Russen unter dem Weihnachtsbaum

■ Fraternisierungsverbot aufgehoben: Westberliner dürfen sowjetische Soldaten zu sich einladen

Mitte. Eine so beliebte Adresse wie zur Zeit ist die Deutsch-Sowjetische Freundschaftsgesellschaft (DSF) in Berlin Mitte schon lange nicht mehr gewesen. Ununterbrochen bimmelt das Telefon, Birgit Dobrig und Evelyn Rehbein »schmerzen schon die Ohren«. Hunderte von Berlinern wollen nur das Eine: Einen sowjetischen Soldaten unter dem Weihnachtsbaum. »Allein gestern erhielten wir innerhalb von drei Stunden 35 Einladungen«, erzählt Frau Rehbein, »die Gastfreundschaft ist überwältigend und anrührend.«

Bis gestern interessierten sich fast nur Ostberliner für einen sowjetischen Festgast. Den Umschwung brachte ein Auftritt des Oberstleutnants Babietzki in der SFB-Sendung M.U.M.M. Dort verkündete er am vergangenen Dienstag die für Westberliner sensationelle Nachricht, daß das Fraternisierungsverbot ab sofort aufgehoben ist: Russische Soldaten und Offiziere dürfen erstmalig auch Westberliner besuchen. Die erforderlichen Formalitäten werden von der DSF abgewickelt, die die Einladungen an die Kasernen in Karlshorst und Wünsdorf weiterleitet. »Wir wollen alle Wünsche erfüllen«, bestätigte gestern in Wünsdorf Oberst Schewtschenko, »es müssen nur noch einige in der Kaserne übrig bleiben, um Dienst zu tun.«

Seit gestern kommen auf eine Osteinladung drei Westeinladungen, viele Familien wollen gleich mehrere Soldaten haben. »Die jungen Soldaten sind sehr schüchtern«, sagt Frau Rehbein, »für alle wird es die erste private Einladung überhaupt sein.« Auch zum Essen, meint sie, wird man jeden einzelnen »wohl überreden müssen. Bisher waren sie in den Kasernen doch immer nur eingesperrt.« Damit sich die Rotarmisten auch wirklich wohlfühlen, hat ein Neuköllner Gastwirt die DSF gebeten, ihm 20 einfache Soldaten und einen Offizier zu vermitteln. Er will am Weihnachtsabend in seiner Kneipe »Zur stumpfen Ecke« ein richtiges Freundschaftsfest mit »Quetschkommoden« feiern. Immer wieder muß die DSF Auskunft geben, ob und was man den jungen Soldaten schenken kann. Eine Westberlinerin will schon jetzt die Körpermaße des zukünftigen Gastes wissen, »denn sie will ihrem Soldaten einen warmen Pullover unter den Baum legen«. Die Soldaten werden sich über alles freuen, meint Frau Rehbein weiter, denn von den 25 Mark Sold im Monat »kann keiner große Sprünge machen«.

Einladungen an: DSF, Mohrenstraße 63/64, Berlin, 1080, Telefon: (0372) 2202681.

Aber nicht nur die Rotarmisten würden sich über eine Weihnachtseinladung freuen. In den Flüchtlingsunterkünften in Hessenwinkel leben zur Zeit rund 300 jüdische Emigranten aus der Sowjetunion. Viele von ihnen haben Kinder. Das Bezirksamt Köpenick sucht Gastfamilien, die diese Emigranten über die Feiertage einladen möchten.

Einladungen an: Bezirksamt Köpenick, (0372) 6523175 oder 6523518. aku