piwik no script img

Das Geheimnis des „Rosenheimer Kreises“

Alte Liebe rostet nicht — oder: Wie schon vor 15 Jahren Simon Goldenberg kann sich auch Schalck-Golodkowski auf seine bayerischen Freunde verlassen Letzter Teil der taz-Serie über dubiose Verbindungen zwischen ehemaligen Devisenbeschaffern, CSU-Freundeskreisen und Westgeheimdiensten  ■ Von Thomas Scheuer

Bei den Abwehrbürokraten der Bundesrepublik hätten eigentlich alle Alarmglocken schrillen müssen, als der DDR-Bürger Simon Goldenberg 1976 seinen Wohn- und Geschäftssitz aus der Hauptstadt der DDR ins bayerische Rosenheim verlegte.

Schließlich wurde der Schieberkönig in den Dossiers des Verfassungsschutzes als „Kontaktperson östlicher Nachrichtendienste“ geführt. Auch Zollfahnder hatten den „Übersiedler“ seit Jahren wegen Schmuggelaktiviäten und Embargogeschäften im Visier. Doch die amtlichen Befragungen, denen sich Übersiedler damals gewöhnlich zu unterziehen hatten, blieben dem Wahl-Rosenheimer aus unerfindlichen Gründen erspart. Innerhalb von 14 Tagen war er mit neuen Papieren ausgestattet.

Nur zu gerne hätte auch der elsässische Untersuchungsrichter Sengelin, der zu Beginn der achtziger Jahre mehreren Schmugglerbanden nachspürte, Goldenberg vorgeladen, nachdem er 1982 dessen neuen Standort über den französischen Geheimdienst erfahren hatte. Doch die Bayern winkten ab. „Der ist gedeckt worden durch den BND und deutsche Behörden“, empört sich Sengelin noch heute.

Warum deckt der BND den DDR-Schieber?

Im Archiv in Pullach, so sei ihm damals knapp beschieden worden, sei außer einem Pressebericht „Ist Goldenberg ein Ostagent?“ über den Mann nichts zu finden; sein derzeitiger Aufenthaltsort sei unbekannt. Wenig später erschien Goldenberg in des Richters guter Stube im Elsaß — auf dem Bildschirm. Ein französisches TV-Team hatte ihn in Rosenheim gefunden und interviewt.

Warum deckte der BND den DDR-Schieber? Hatte Goldenberg während seiner Zeit in Ost-Berlin „double cross“ gespielt? Sengelin im Herbst 1990: „Diese Frage ist heute überhaupt keine Frage mehr für uns!“

Über ein Jahr hatte es gedauert, bis der damalige Chef des bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz, Dr. Hans Ziegler, 1977 seinen Innenminister Alfred Seidl vor dem Zuzügler aus dem Arbeiter- und Bauernstaat warnte. Unter dem Aktenzeichen „IV A 1 — 111-P-060 470 — 3/77 VS-vertr.“ teilte der Verfassungsschützer seinem Minister mit: „Seit 1956 ist Simon Goldenberg als Kontaktperson östlicher Nachrichtendienste und als Inhaber einer Ostberliner Firma bekannt, die sich unter anderem mit dem Handel von Embargogütern befaßte. Er gehörte zu den Geschäftspartnern des Ostberliner Schwarzhändlers polnischer Abstammung, Hersz Libermann.“

Sein Ausreisevisum, so mutmaßte der VS-Präsident, habe DDR-Bürger Goldenberg überhaupt nur erhalten, weil er den Oberen drüben mit „Veröffentlichungen seiner Erfahrungen aus seiner DDR-Zeit gedroht habe“. In dem fünfseitigen Brief legte Ziegler dem Neu-Rosenheimer neben Vergehen wie Schmuggel von Embargogütern und Falschgeldhandel ausdrücklich auch Geheimdienst-Connections zur Last:

„Simon Goldenberg wurde in seinem Büro in Ostberlin und teilweise auch privat von einem MfS-Führungsoffizier und von einem Angehörigen eines sowjetischen Nachrichtendienstes besucht. Die Intensität dieser Verbindungen — gekoppelt mit kommerziellen Interessen — ist schon daran ersichtlich, daß Simon Goldenberg seit 1957 in acht Ermittlungsverfahren des Generalbundesanwaltes wegen Verdachts verräterischer Beziehungen als ,Geschäftspartner‘ und Kontaktperson genannt worden ist. Darüber hinaus lief gegen ihn 1952 über Interpol ein Fahndungsersuchen wegen Beihilfe zur Gefangenenbefreiung von Untersuchungshäftlingen aus einem Westberliner Gefängnis.“

Im dunklen Gästehaus verkehrte auch Strauß

Schlußfolgerung des VS-Präsidenten: Die „vorliegenden Informationen über die Vergangenheit Goldenbergs machen im Zusammenhang mit seiner Wohnsitzverlegung nach Bayern und den damit verbundenen Kontakten eine Klärung erforderlich. Darüber hinaus sind das Bundesamt für Verfassungsschutz und auch der BND an einer Befragung Goldenbergs wegen seiner engen Zusammenarbeit mit staatlichen Einrichtungen der DDR besonders interessiert.“

Was den VS-Mann Ziegler also besonders beunruhigte, waren gewisse „Kontakte“ des Herrn Goldenberg in seiner neuen Heimat. Und die hatten es wahrlich in sich. Denn im Gästehaus des Metzger-Clans März, in dem Rosenberg zunächst Unterkunft gefunden hatte, verkehrte gern und oft ein anderer Intimus des Seniorchefs Josef März: CSU-Chef Franz Josef Strauß.

Beide hatten schon gemeinsame Schießsafaris im afrikanischen Busch absolviert. Ziegler an Seidl überdeutlich: „Im Hinblick auf die Beziehungen des Vorsitzenden der CSU, Herrn Dr. Franz Josef Strauß, zu den Gebrüdern März darf ich Sie, sehr verehrter Herr Staatsminister um Entscheidung bitten, ob und gegebenenfalls welche weiteren Klärungsmaßnahmen durchgeführt werden können.“

Doch aus dem Münchner Büro des CSU-Chefs, der seine umfangreichen DDR-Kontakte stets im Dunkeln ließ, kam die Order: Finger weg von Goldenberg! Ein Ostschieber mit geheimdienstlichem Hintergrund im Freundeskreis des FJS? Die Möglichkeit schien in München niemanden zu beunruhigen.

Doch warum klemmte die CSU- Zentrale „Klärungsmaßnahmen“ in Sachen Goldenberg ab? Hatte Goldenberg sich tatsächlich für beide Seiten verdient gemacht, wie Richter Sengelin heute glaubt? Schließlich hatte schon früher der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Richard Meier, geklagt: „Wir werden mit dem nicht fertig: Der ist so gut, der ist in der Lage, auch das MfS zu bescheißen.“ War Goldenberg also ein Doppelagent?

Goldenberg jedenfalls blieb in Bayern unbehelligt, wechselte bald in den luxuriös ausgebauten Pfarrhof des nahen Dörfchens Pang und zog in Rosenheim ein Import-Export-Geschäft auf. Einen passenden Steuerberater fand er ebenfalls im Umfeld des März-Freundeskreises: Franz Neubauer, später Staatssekretär im bayerischen Innenministerium, pflegte auch privat guten Kontakt mit dem Zuzügler.

Erst 1982 wurde Goldenberg vom BND interviewt. In jenem Jahr versuchte ein Untersuchungsausschuß des bayerischen Landtages vergeblich, die berühmte Affäre Langemann zu erhellen. Dabei kam auch der Fall Goldenberg zur Sprache. Franz Josef Strauß gab zu Protokoll, er verbinde mit dem Namen Goldenberg keinerlei Vorstellung.

Warum aber hatte die französische Abwehr dann München gewarnt, Herr Strauß möge bei seinen Parisbesuchen nicht mehr im dortigen Luxusappartement von Monsieur Goldenberg absteigen? Diese Wohnung, so erklärte Strauß den Widerspruch, sei ihm von den März- Brothers angeboten worden. Angeblich wollte Strauß sie jedoch nie benutzt haben. Resignierend heißt es im Schlußbericht der SPD-Ausschußminderheit: „Der Hintergrund dieser Angelegenheit liegt noch weitgehend im Dunkeln.“ Dort liegt er bis heute.

Über den „Rosenheimer Kreis“ wurden heiße Deals eingeleitet

Auch in Paris, wo man ihm dreißig Jahre zuvor die Staatsbürgerschaft aberkannt hatte, war Goldenberg mittlerweile wieder wohl gelitten. 1981 verlieh der damalige Pariser Bürgermeister Jacques Chirac, bekanntermaßen ein enger Freund des Franz Josef Strauß, ihm die Ehrenmedaille der französischen Hauptstadt. Später siedelte Goldenberg von Rosenheim in eine pompöse Villa in der Prominentensiedlung St. Paul du Vence nahe Nizza um, wo ihn nur ein Mal, 1984, der aufsässige Richter Sengelin mit einer ergebnislosen Razzia nervte.

Über den „Rosenheimer Kreis“, wie Insider den Zirkel um die März- Gebrüder nennen, wurden weiterhin heiße West-Ost-Deals angebahnt. Im Landhaus von Strauß-Intimus Josef März wurde 1983 der berühmte Milliardenkredit für die DDR eingefädelt. Die beiden Hauptakteure: Franz Josef Strauß und Alexander Schalck-Golodkowski. (Ein nicht unbeträchtlicher Teil des Kredits soll übrigens postwendend nach Rosenheim zurückgeflossen sein: Zur Begleichung von DDR-Schulden bei der März-Firma Marox.)

Der CSU-Chef und der KoKo- Pate trafen sich mehrmals in Rosenheim. In Kontakt gekommen waren die beiden über die berüchtigte DDR-Firma F.C. Gerlach, die Ostberliner Anlaufstelle für die Fleischwarenhändler der März-Gruppe. Die finanziellen Interessen der Klassenfeinde erwiesen sich als äußerst kompatibel. Daß auch die März- Brothers Goldenbergschen Schiebermethoden nicht immer abhold waren, zeigt eine Gerichtsakte im französischen Toulouse von 1978: Die Rosenheimer hatten aus der DDR importierte Hammel und Pferde über das EG-Land BRD nach Frankreich weiterverscherbelt und dabei den dortigen Fiskus um 25 Millionen Francs geprellt.

Ganz zufällig mischt übrigens Simons Bruder Joseph in Paris ebenfalls dick im internationalen Fleischwarengroßhandel mit. Die Frage drängt sich auf, ob der BND nicht zuletzt deshalb auf die restlose Durchleuchtung aller Schalckschen Auslandsfirmen verzichtet, weil er befürchten muß, dabei irgendwann auch auf finanzielle Verstrickungen prominenter Landsleute zu stoßen.

Bei den diskreten Zusammenkünften bayerischer Politiker und Wirtschaftsgrößen mit Unterhändlern Ost-Berlins im März-Landhaus sollen bisweilen auch Angehörige der CSU-Seilschaft beim Bundesnachrichtendienst in Pullach mit von der Partie gewesen sein. Die Gäste aus dem Osten waren ohnehin „MfS- anhängig“. Denkbar ist also schon, was Beobachter der Rosenheimer Szene hinter vorgehaltener Hand munkeln: Daß über den „Rosenheimer Kreis“ informelle Kontakte zwischen den Geheimdiensten beider Deutschlands bestanden. Sogar die ersten Signale bezüglich der Entsorgung westdeutscher Terroristen in der anderen deutschen Republik, so das kühnste Gerücht, seien auf diesem Kanal ausgesandt worden.

Solche Gerüchte wuchern zwangsläufig, solange bundesdeutsche Geheimdienstler genau das verhindern, was sie — in ihrem zweckentfremdeten Sinne freilich — als ihren Daseinszweck begreifen: Die Aufklärung. So lange wird sich auch das Gerücht halten, die Finanzierung des neuen Häuschens des KoKo-Paten Alexander Schalck-Golodkowski in Rottach-Egern am schönen Tegernsee sei über den gleichen Rosenheimer Clan abgewickelt worden, der vor fast 15 Jahren schon dessen Vorläufer Simon Goldenberg ein Dach überm Kopf verschaffte.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen